Die Heilerin
den nächsten Tag.
»Darf ich um einen Becher Wasser bitten?«
Der Satz riss Margaretha aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr sie herum. Franz Daniel Pastorius stand an der Türschwelle.
»Ich wollte Euch nicht erschrecken«, sagte er entschuldigend. »Verzeiht mir.«
Margaretha wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab. »Wollt Ihr nicht lieber noch einen Becher Wein? Es ist noch genug im Krug. Meine Brüder werden doch sicher noch eine ganze Weile mit Euch diskutieren wollen.«
»Nein, danke. Mir reicht ein Becher frisches Wasser. Reden können wir noch morgen. Meine Reise war lang und anstrengend. Ich habe mich schon zur Nacht verabschiedet.«
»O ja, das kann ich verstehen.« Margaretha ging in den Hof und schöpfte Wasser aus dem Brunnen in einen kleinen Krug. Pastorius war ihr gefolgt. Er schaute nach oben, tausend Sterne funkelten wie Tautropfen auf schwarzem Samt.
»Wunderschön«, murmelte er.
Unschlüssig hielt sie den Krug in der Hand. Immer noch wusste sie nicht, was sie von dem Besuch des Mannes halten sollte. Den Abend über hatte sie keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, und auch jetzt hatte der Gedanke an die Folgen etwas fast Unerträgliches. Sie gab ihm wortlos den Krug, drehte sich um, um in die Küche zurückzugehen.
»Darf ich Euch etwas fragen, Mejuffer op den Graeff?«
Margaretha blieb stehen, biss sich auf die Lippe, dann drehte sie sich langsam um. »Ja?«
»Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Seht, ich habe schon länger Kontakt zu Euern Brüdern. Sie haben mich in Euer Haus eingeladen. Ich bin hier sehr herzlich aufgenommen worden. Nur Ihr scheint ein wenig … zurückhaltend zu sein.«
Margaretha holte Luft, sie wusste zuerst nicht, was sie antworten sollte. »Habe ich Euch schlecht behandelt?«, fragte sie dann.
»Nein, nein. So habe ich das nicht gemeint. Schaut, auf dem Weg in die Stadt haben wir uns angeregt unterhalten. Eine sehr angenehme Konversation. Aber kaum habt Ihr erfahren, wer ich bin, habt Ihr Euch zurückgezogen wie dieSchnecke in ihr Haus. So als hätte ich Euch etwas angetan, oder Ihr würdet Euch vor mir fürchten. Gibt es dafür einen Grund?«
War ihre Ablehnung tatsächlich so stark zu merken? Margaretha senkte beschämt den Kopf. »Es tut mir leid, wenn ich unhöflich gewirkt habe.«
»Um Himmels willen, es war absolut kein Vorwurf. Es war eine Frage. Eigentlich frage ich mich, ob ich etwas gesagt oder getan habe, was Euch verschreckt oder verletzt hat?«
Margaretha zog die Schultern hoch. »Obwohl der Tag wunderbar sonnig war, ist es nun etwas kühl. Zu kühl, um hier draußen zu stehen. Mögt ihr nicht doch noch einen Becher Wein?«
Für einen Moment zögerte er, dann aber nickte er und folgte ihr in die Küche. Aus der Stube klang noch das Gemurmel der Männer, das Feuer im Ofen war fast heruntergebrannt, und Margaretha legte zwei Scheite Holz nach, schenkte Wein ein und setzte sich auf die Küchenbank.
»Ihr habt das gar nicht so falsch gedeutet, Mijnheer Pastorius. Als ich Euern Namen hörte, wusste ich, wer Ihr seid. Schon lange wird über Euch und die Frankfurter Compagnie in der Krefelder Gemeinschaft der Freunde diskutiert und gesprochen. Ich bin hier nur die kleine Schwester, noch jung, aber sicherlich nicht dumm genug, um nicht zu wissen, was Eure Ankunft bedeutet. Ihr werdet von William Penns Land in der Neuen Welt berichten.« Sie senkte den Kopf, zog die Stirn in Falten. »Und nicht nur das, Ihr werdet für das Land werben.« Sie sah ihn wieder an.
»Das ist richtig«, sagte er leise. »Aber Eure Familie hat mich eingeladen …?« Ein deutliches Fragezeichen erklang am Ende des Satzes.
»Meine Brüder haben Euch eingeladen.« Sie seufzte. »Versteht mich nicht falsch. Ich setze mich intensiv mit dem Glauben auseinander. Ich versuche, Zwiesprache mit Gott zu halten. Auch der Gedanke an ein Leben ohne Ärger und Beschimpfungenist verlockend. Doch ich habe viele Bedenken, die mir Angst machen. Ja, ich fürchte mich.«
»Ihr fürchtet Euch?«
»Nun ja, ich bin gerade einundzwanzig Jahre alt, nicht verheiratet, nicht versprochen. Sollten meine Brüder eine Entscheidung treffen, habe ich ihr zu folgen. Es ist nicht meine Entscheidung, sondern ihre.«
»Aber … was ist daran verwerflich?«, fragte Pastorius verblüfft.
Margaretha lächelte. »Nichts. Ihr seid ein Mann. Ihr könnt gehen, wohin es Euch beliebt. Ihr könnt Euch niederlassen, wo Ihr Euch wohlfühlt. Ich muss meinen Brüdern und ihren Familien folgen. Selbst
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