Die Heilerin
Kreis gewandert. Sie setzte sich hin, zog die Beine an den Körper, umschlang sie und fing bitterlich an zu weinen. Sie hatte sich verlaufen und fand den Weg zurücknicht mehr. Ihr war kalt, und sie zitterte, nicht nur vor Kälte. Angst saß ihr im Nacken. Sie kauerte sich zusammen, versuchte sich so klein wie möglich zu machen, atmete flach ein. Wo war ihr Hund?
»Jonkie«, wisperte sie mehr, als dass sie rief. »Jonkie?«
Doch der Hund kam nicht. Was sollte sie tun? Verzweiflung packte sie.
Plötzlich teilten sich die Zweige, und fast geräuschlos trat ein Mann neben ihr hervor. Margaretha schrie erschrocken auf.
»Psst.« Der Mann legte den Zeigefinger auf seine Lippe. »Boar.« Er schaute sich um, kauerte sich neben sie.
»Boar? Wildschweine?«
Er nickte. Es war ein Lenape, er trug nur eine Art Lendenschurz und einen Bogen, die Pfeile waren in einem Köcher, den er auf dem Rücken trug. Er schien trotz der Kühle der Nacht nicht zu frieren, schaute sie ausdruckslos an. Um seinen Hals hingen mehrere Ketten, ähnlich wie Hololesqua hatte er den Kopf rasiert, trug nur auf dem Scheitel einen Zopf.
»Come!« Er reichte ihr die Hand, zog sie hoch. »Careful.«
Er ging voraus. Es überraschte sie, wie lautlos er sich bewegte. Sie folgte ihm, empfand plötzlich keine Furcht mehr. Auch wenn es ein Wilder war, spürte sie, dass er ihr nichts Böses wollte.
War er durch Zufall auf sie gestoßen? War er auf der nächtlichen Jagd? Wohin führte er sie? Sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten, ohne zu stolpern. Zielstrebig ging er voran, drehte sich nicht nach ihr um. Doch dann blieb er stehen. Vor ihm lag eine Senke, Margaretha trat zu ihm. In dem Kessel lag eine Bache mit Frischlingen. Die Bache schaute sie an. Margaretha wusste, dass mit Wildschweinen nicht zu spaßen war.
Der Lenape fasste ihre Hand, führte sie langsam und sachte am Rand des Kessels entlang. Die Bache beobachtete sie aufmerksam, rührte sich jedoch nicht. Plötzlich raschelte es im Gebüsch, und mit einem freudigen Bellen drang Jonkie hervor.
»Jonkie! Hier!« Margaretha blieb stehen. Der Hund hatte die Bache entdeckt, er kauerte sich nieder, knurrte. Die Bache sprang auf, stürmte laut quiekend auf den Hund zu, Jonkie erhob sich, das Nackenfell gesträubt und knurrte noch lauter, die Zähne gebleckt. Doch die Wildsau ließ sich nicht beirren und lief weiter.
Der Lenape packte Margarethas Arm, zog sie eilig mit sich, weg von der Senke.
»Nein!« Sie versuchte, sich loszureißen. »Es ist mein Hund. Jonkie!«
»Come!«, sagte er in barschem Ton. »Hurry!«
»Jonkie!«
Er schüttelte den Kopf, zog sie wiederum heftig am Arm. »Come.«
Margaretha blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Immer wieder schaute sie sich um. Sie konnte das wütende Quieken und das laute Bellen hören, das Scharren und Rascheln des Kampfes. Jonkie jaulte laut auf, Margaretha blieb wie erstarrt stehen, doch der Lenape hatte ihren Arm im festen Griff, zog sie weiter. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Sie stirbt«, jammerte sie leise. »Mein Hund wird sterben.«
»Come, hurry, hurry. Boar bad!« Immer weiter liefen sie auf dem Trampelpfad durch das Gebüsch. Schließlich erreichten sie den großen Weg, der von Philadelphia durch die Wälder in Richtung Norden führte und an dem die Siedlung der Krefelder lag. Der Lenape wies nach rechts und nickte ihr zu.
»Dorthin muss ich gehen?«, fragte Margaretha unsicher.
Wieder nickte er. »Home. There.«
Margaretha ging ein paar Schritte, der Wilde war stehen geblieben. Unsicher drehte sie sich zu ihm um, würde er sie nicht begleiten?
»You go. Home.«
Für einen Augenblick zögerte sie. Doch der Wilde zeigte den Weg hinunter und wedelte mit der Hand, sie solle gehen. Langsam setzte sie ihren Weg fort. Einen Schritt nach demanderen. Nach einigen Schritten schaute sie sich um, der Wilde war verschwunden, wie vom Wald verschluckt. Und doch war sie sich sicher, dass er noch dort war und sie beobachtete.
Nach einer Weile sah sie einen Lichtschein vor sich und meinte, Stimmen zu hören. Zögernd blieb sie stehen, dann lief sie los.
»Zusje!« Hermann schloss sie in die Arme. »Wo warst du bloß?«
»Ich habe mich verlaufen«, schluchzte sie und drückte sich an ihn. Er roch vertraut nach Wolle, Pfeifentabak und Seife.
»Nun haben wir dich gefunden«, versuchte ihr Bruder sie zu beruhigen und strich ihr über die Haare, die sich aus dem Knoten gelöst hatten und wirr über ihre Schultern hingen. »Komm, lass
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