Die Heilerin
bebrüten, um das Hühnervolk zu vergrößern. Die restlichen Eier nahm Margaretha ab. Endlich hatte sie wieder frische und reichhaltige Nahrung. Sie legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und atmete die laue Luft ein. Obwohl die Sonne schon tief am Himmel stand, wurde in der Sägemühle am Bach noch kräftig gearbeitet. Jede Menge Bretter wurde gebraucht. Auch die ersten Webstühle fertigten sie schon. Sie bauten die Häuser mit geräumigen Küchen und großen Kaminen. In jedem Haus war genügend Platz für mindestens einen Webstuhl. Die Häuser bekamen Flügelfenster und Doppeltüren, so wie sie es in Holland gesehen hatten. Die Türen erwiesen sich als sehr praktisch, man konnte die obere Hälfte geöffnet lassen, so dass Licht und Luft in die Räume gelangten, doch das herumlaufende Vieh draußen blieb. Neben den Haustüren luden Bänke zum Sitzen ein.
Margaretha ging vorsichtig, die Eier in der zusammengerafften Schürze, zurück zum Haus. Hermann hatte ihr ein eigenes, kleines Haus versprochen, doch vorerst bezog sie das Zimmer neben der Küche.
Ach, Moedertje, dachte sie traurig, wenn du das doch sehen könntest. Es ist wie das Gelobte Land, so friedlich und schön. Wir werden nicht mehr hungern müssen, wir werden nicht frieren, und niemand wird uns hier wegen unseres Glaubens verfolgen.
Abraham stand vor dem Haus, schaute ihr nachdenklich entgegen. »Zusje«, sagte er, als sie näher kam. »Ich weiß, was du denkst und fühlst.«
»Wirklich?« Margaretha blieb stehen.
»Ja, keinem bleibt verborgen, dass du Pastorius sehr zugetan bist.«
Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
»Aber, Zusje, verrenn dich nicht. Ich sage dies nicht, um dich zu kränken, doch Hermann und ich sind deine Vormunde. Wir machen uns Gedanken um deine Zukunft.«
»Das ist ehrenwert von euch, aber ich kann schon für mich selbst entscheiden.«
»Rechtlich nicht.«
Margaretha kniff die Augen zusammen. »Was willst du mir damit sagen?«
»Hermann und ich sind seit Vaters Tod deine Vormunde.«
»Ja, das weiß ich. Deshalb bin ich ja auch hier und nicht in Krefeld. Aber du willst mir doch etwas anderes sagen, nicht wahr? Es geht um Pastorius.«
»Ich möchte dich nur vor Schaden bewahren. Pastorius zeigt dir seine Zuneigung. Gib dich dem nicht zu sehr hin.«
»Keine Sorge, ich kann schon auf mich aufpassen«, zischte sie.
»Das will ich hoffen, denn mit ihm hast du keine Zukunft.«
»Ist das so?«, fragte sie harsch.
»Zusje, ich sage das nur zu deinem eigenen Schutz. Nicht, weil ich dir kein Glück gönne.«
Sie holte tief Luft, verkniff sich aber die Antwort und ging in die Küche. Esther fütterte Isaak, sie sah kurz auf, lächelte dann. »Nimm es dir nicht so zu Herzen.«
»Denkt Hermann auch so?«
»Ich habe noch nicht mit ihm darüber gesprochen.« Esther wischte dem kleinen Jungen den Mund ab. »Nun ja, er hat es neulich mal erwähnt.«
»Was?«
»Dass er sich Sorgen macht. Er schätzt Pastorius, aber er ist sich nicht sicher, ob dessen Zuneigung wirklich aufrichtiger Natur ist.«
»Wie kommen die beiden bloß darauf?« Margaretha schüttelte wütend den Kopf, mit zitternder Hand legte sie die Eier in eine Schale. Das letzte fiel zu Boden. »Verdomme!«
Esther trat zu ihr, wischte das Ei auf. »Nun beruhige dich. Ich weiß, dass du Pastorius sehr zugetan bist, und man merkt, dass er dir auch Zuneigung entgegenbringt. Aber noch ist er nur …«, sie zögerte.
»Nur?«
»Er ist ein Abgesandter der Frankfurter Land Compagnie, er ist noch keiner von uns, auch wenn er sich darum bemüht. Aber will er es denn wirklich werden oder will er, dass wir uns erfolgreich hier ansiedeln, so dass er weitere Siedler aus dem alten Land nach Pennsylvania locken kann?«
Margaretha schaute sie ungläubig an. »Er tut alles, um ein Teil dieser Gemeinschaft zu werden, scheut keine harte Arbeit und keinen Schweiß, gibt sein Geld mit offenen Händen aus für uns. Wie könnt ihr alle so misstrauisch sein?« Sie stieß die Tür auf und verließ das Haus mit schnellen Schritten. Tränen stiegen ihr in die Augen, die sie wütend fortwischte. Sie ging durch den Garten, vorbei an dem Geflügelgehege und dem Verschlag der Ferkel bis in den Wald. Sie lief weiter und weiter, achtete nicht auf den Weg. Nun ließ sie die Tränen laufen.
Hemeltje, dachte sie, das kann doch nicht wahr sein. Ich bin meiner Familie in dieses Land gefolgt, voller Ängste und Sorgen. Eine Wahl hatte ich nicht. Doch alles scheint gut zu werden
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