Die Heilerin
wurde gegossen, Rätsel wurden gestellt. Für die Jugendlichen gipfelte der Abend in dem Gang mit dem Brummtopf durch die Stadt und um die Stadtmauern herum. Es wurden Lieder gesungen, sie bekamen süße Speisen und Früchte von den Leuten geschenkt. Der Brummtopf war eine Trommel, mit Schweinehaut überzogen, durch einen Stab oder eine Saite wurde die gespannte Haut zum Schwingen gebracht und erzeugte einen tiefen Ton, der manchmal gar grässlich klang. Das Instrument gab den Rhythmus der langen Spottlieder vor, die die jungen Leute in der Nacht zum neuen Jahr sangen. Sie reimten grobe Strophen über jeden eines Haushalts, begleitet mit viel Gelächter. Jeder versuchte, den anderen zu übertrumpfen. Es war ein Heidenspaß.
Margaretha, Dirck und Rebecca zogen sich warm an, tranken vorsorglich noch einen Schluck Branntwein. Die Silvesternacht war bitterkalt, der Himmel sternenklar.
»Was ist mit dir, Abraham?«, fragte Dirck seinen Bruder, der vor dem Kamin saß und las.
»Geht schon mal vor, ihr könnte es ja kaum erwarten. Ich komme gleich nach. Verfehlen kann ich euch ja nicht.« Abraham lachte.
»Wohl wahr.« Margaretha legte sich noch ein Tuch um dieSchultern. Ihre Wangen glühten, und das lag nicht nur an dem Schluck Branntwein. Die Aufregung schien den Raum fast zum Knistern zu bringen. Kichernd und lachend gingen sie in die Nacht. Die kalte Luft biss in die Haut, tat für einen Moment weh und brachte ihre Augen dazu zu tränen, aber nach wenigen Schritten hatten sie sich daran gewöhnt. Am Schwanenmarkt rührte schon jemand den Brummtopf, und die ersten Verse wurden zaghaft angestimmt.
»Herr Hadubrand lebt ohne Sorg, er lebt auf seiner Ritterborg. Er war ein schrecklicher Barbur und konnte saufen wie einer nur. Ein Barbur, ein Barbur, und die Geschichte ist ganz wuhr!«
»Sie singen schon!« Rebecca klatschte in die Hände und beschleunigte ihren Schritt.
»Das war doch keine Ritterborg, Borg Karkau hieß die Stätte nur, und saufen konnte man ganz fein, man lebte doch am Niederrhein!«, sang jemand anderes. Vielfältiges Lachen erklang.
»Am Niederrhein da ist es fein, auch Krefeld, wenn es noch so klein, dort gibt es reichlich und genug, gewebt wird da manches Tuch!«
Und wieder wurde die Trommel geschwungen, Gelächter erscholl.
»Weben können wir und auch flachsen, mancherlei auch viele Faxen, können wir hier treiben, solange die Oranier blieben.«
Margaretha blieb stehen. Der Ton wurde deutlich in den Liedern. Aber Dirck eilte Rebecca hinterher. Hörten denn die beiden nicht, worum es hier ging? Hatten sie keine Angst? Unsicher schaute Margaretha sich um. Aus allen Straßen und Gassen kamen die jungen Leute. Sie ließ sich mitziehen. Um den Brunnen am Schwanenmarkt versammelten sie sich. Es war ein Lachen und Krakeelen, ein fröhliches Getümmel. Margaretha hatte Dirck und Rebecca aus den Augen verloren.
»Flachs weben, das ist gut und schön, damit lassen wir uns sehen, doch die Stadt beschützen, dazu können wenige nurnützen.« Wieder klang der Brummtopf, und das Gelächter erscholl. Margaretha wurde eiskalt. Diese Verse gingen gegen die Mennoniten, die Täufer, die den Kriegsdienst und das Führen von Waffen ablehnten. Sah das denn niemand außer ihr? Wieder suchte sie den Bruder und die Magd in der Masse. Ihr Herz pochte bis zum Hals, der sich zusammenzuziehen schien. Angst kroch ihr den Rücken hoch.
»Du bist ja tatsächlich gekommen.« Jan Scheuten stand plötzlich an ihrer Seite. »Den ganzen Abend habe ich dich schon gesucht. Als ich vorhin Dirck sah, wusste ich, du kannst nicht weit sein oder bist zu Hause geblieben.«
Margaretha war erschrocken zusammengefahren, als er ihren Arm fasste, doch dann erkannte sie ihn. »Jan! Ich bin so froh, dass du da bist. Wo ist Dirck? Ich habe ihn verloren.« Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie wusste nicht, ob es Tränen der Verzweiflung oder der Erleichterung waren. Beide Gefühle mischten sich in ihr wie zwei Strömungen.
»Nun, nun. Wir werden ihn schon wiederfinden.« Er zog eine kleine Flasche aus der Jackentasche und reichte sie ihr. »Nimm einen Schluck, das wird dich beruhigen. Immerhin bist du gekommen.« Er strahlte sie an, nahm ihren Arm und zog sie mit sich.
»Ja, ich bin gekommen, aber ich weiß nicht, ob ich das nicht bedauern sollte. Meinst du, es könnte zu Krawallen kommen?«
»Du meinst wegen der Verse? Nimm sie dir nicht zu Herzen.« Er legte den Arm um ihre Schulter, drückte sie an sich. »Das ist doch immer
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