Die Heilerin
so. Es sind Spottgesänge.«
»Aber waren die immer schon gegen uns gerichtet?«
»Gegen uns? Ach, egal. Wir wollen alle Spaß haben, da muss man austeilen und aushalten.«
Nach einer Weile zog die Schar durch die Stadt. Sie hielten am Haus des Magistrats, sangen Verse über seine Familie. Es waren lustige Verse, die seinen Putz im Visier hatten. Der Magistrat trug immer große Hüte mit noch größerer Federzier,seine Frau die neusten Kleider aus Amsterdam. Es gab einige Reime auf Pfauen und Eitelkeit, dann kam auch schon die Magd aus dem Haus mit einem Korb voller Naschereien. Die Gruppe nahm reichlich, zog weiter zum nächsten Haus. Nun waren die Schöffen an der Reihe. Und so zog es sich durch die Stadt, bis sie schließlich zum Niedertor kamen. Das Tor war um diese Zeit geschlossen.
»Macht hoch die Tür, die Tore macht weit, wir wollen bejubeln die Feierlichkeit!«, sang jemand. Lachend wurde der Vers wiederholt. Der Stadtwache wurden Würste und Süßigkeiten als Bestechung angeboten, und nach einem lustigen Schlagabtausch wurden die Tore geöffnet. Es war ein Spiel. Vor der Stadt brannte schon längst ein großes Feuer, um das sich die Jugend nun versammelte. Stockbrot wurde gebacken, und Würzwein floss reichlich. Es wurde gesungen, gejohlt und geflachst. Doch die Stimmung schien sich zu verändern. Die Spottverse wurden bissiger, die Witze boshafter. Nicht nur das Knistern des Feuers lag in der Luft. Jan zog Margaretha von den johlenden Lutheranern weg. Die Mennoniten sammelten sich auf der einen Seite des Feuers, die Lutheraner und Katholiken auf der anderen. Noch gingen die Verse und Reime hin und her, aber je angriffslustiger die Lutheraner wurden, umso ruhiger wurden die Mennoniten.
»Lass uns gehen«, wisperte Margaretha Jan zu.
»Ja, gleich.« Seine Stirn war gefurcht, er schaute sich zu den anderen um.
»Sie können es einfach nicht lassen«, sagte Fridjoff ter Meer, der neben ihnen stand. »Schade um die Nacht, aber das sollten wir uns nicht bieten lassen.«
»Das sehe ich auch so«, zischte Jasper Tönnis. »Das Maul aufreißen können sie vortrefflich, aber auch nur, weil sie wissen, dass wir uns nicht wehren.«
»Und das ist auch richtig so!« Plötzlich ertönte die tiefe und warme Stimme von Abraham hinter ihnen. Margaretha hatte ihn den ganzen Abend noch nicht gesehen.
»Gut, dass du da bist«, sagte sie erleichtert.
»Ihr werdet euch doch nicht von den Maulaffen ärgern lassen? Gewalt und Zorn sind nicht gottesfürchtig. Lasst sie tönen.« Abraham schaute sich um. »Wo sind Dirck und Rebecca, Margret?«
»Ich weiß es nicht, ich habe sie aus den Augen verloren.«
Einige der jungen Leute aus beiden Lagern machten sich auf den Weg zurück in die Stadt. Die verbleibende Gruppe auf der anderen Seite des Feuers wurde immer lauter und gehässiger. Abraham lauschte ihren Liedern und Reimen, schüttelte den Kopf. »Das hört sich nicht gut an. Sie haben mehr getrunken, als sie vertragen können. Jan, bring Margret nach Hause, ich suche Dirck und Rebecca.«
»Sollen wir nicht warten und alle zusammen gehen?«, fragte Margaretha. Sie musste an die Nacht in der Gasse denken, als Dirck und Jan zusammengeschlagen worden waren.
»Nein«, sagte Jan und schaute grimmig zu den Lutheranern. »Wir gehen jetzt. Komm, Margret.« Er nahm ihre Hand, drückte sie. »Es ist besser. Und es wäre besser für alle anderen, auch zu gehen. Begleite uns, Fridjoff.«
Ter Meer sah ihn einen Augenblick nachdenklich an, dann schüttelte er den Kopf. »Wir sind friedliebend und lehnen Gewalt ab. Aber ich will nicht, dass man uns nachsagt, wir wären feige. Ich bleibe noch.«
»Du solltest mit deinem Freund gehen, mein Junge«, meinte Abraham ernst. »Die schaukeln sich hoch, und wer weiß, wann die Stimmung endgültig kippt?«
»Und dennoch bin ich nicht feige.« Fridjoff vergrub die Hände in den Manteltaschen.
»Niemand ist feige, wenn er einer unnötigen Auseinandersetzung aus dem Wege geht. Kühnheit ist nicht unbedingt eine Tugend, Junge.« Abraham legte ihm die Hand auf die Schulter, drängte sich dann durch das Jungvolk und machte sich auf die Suche nach seinem Bruder und der Magd.
Margaretha und Jan versuchten nur noch kurz, Fridjoffund Jasper zum Mitkommen zu bewegen, da es aber nicht fruchtete, gaben sie auf. Der Mond wurde schon blass, als sie das Stadttor erreichten. Immer noch hielt Jan Margarethas Hand. Gut und irgendwie vertraut fühlte sich die Wärme seiner Haut an, hin und wieder strich er
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