Die Heilsame Kraft Der Inneren Bilder
– Acheiropoieta. Es ist nicht gemalt worden, sondern Jesus selbst hat sein Antlitz darin abgedruckt, etwa im Bild der Veronika, die von ihrem Namen nach für das wahre Bild – vera ikon – steht. Dieses wahre Bild Jesu wird schon früh im Edessa-Bild verehrt, heute im Turiner Grabtuch und im Volto Santo in Manoppello. Es ist ein Bedürfnis des Menschen, sich in das Antlitz Jesu zu vertiefen und im Schauen Anteil an seiner Ausstrahlung, an seinem Geist, an seiner Liebe zu haben. Die orthodoxen Theologen sagen, dass wir Jesus nicht nach unserer Phantasie malen dürfen, sondern so, wie er in Wirklichkeit war. Und diese Wirklichkeit wird in dem nicht von Menschenhand gemalten Bild sichtbar. Ob nun diese Bilder wirklich – wie die Legende es weiß – vom Abdruck des Antlitzes Jesu stammen oder auf andere Weise entstanden sind, auf jeden Fall haben sie seit den ersten Jahrhunderten das Christusbild der Ikonen geprägt. In diesen Bildern leuchtet das Geheimnis Jesu auf.
Künstler haben seit jeher biblische Szenen gemalt. Ursprünglich hatte Kunst immer einen kultischen Charakter. Sie wollte das Bild Gottes in dieser Welt darstellen. Im Laufe der Zeit hat sich die Kunst immer mehr vom kultischen Bezug gelöst. Aber immer hatte die Kunst eine spirituelle und eine therapeutische Dimension. Ingrid Riedel, die von ihrer psychologischen Sicht her Bilder betrachtet, meint etwa von der Bilderwelt Paul Klees, dass sie sie hineingeführt hat »in den unermesslichen kreativen und imaginativen Innenraum der menschlichen Psyche, ausdem auch meine inneren Bilder entspringen und evoziert werden«. (Riedel 12) Die Lebensstimmung der Bilder »korrespondiert mit einer bestimmten Landschaft unserer Seele und stimuliert damit zugleich die Bilder in der eigenen Psyche«. (Ebd. 14) Ingrid Riedel ist überzeugt, dass die Stimmigkeit und Schönheit eines Bildes eine »klärende, integrierende, ja heilende Funktion und Wirkung des Bildes auf die Seele des Betrachtenden« ausübt. (Ebd. 15) Bilder sind oft »Zeichen gegen das Chaos, gegen die Sinnlosigkeit und, emotional gesehen, gegen die Angst. Auch wenn sie Angst enthalten, sind sie doch als gestaltete Gebilde Gefäße, die die Angst bannen.« (Ebd. 18) Bilder lösen Emotionen in uns auf. Und von ihnen geht eine Kraft aus, die unsere Seele bewegt und oft genug in Richtung Ganzwerdung treibt.
ÜBUNG:
Suche dir ein Bild aus, das dich fasziniert. Es kann eine Christusikone sein. Es kann das Bild der Christusminne sein, da Johannes an der Brust Jesu ruht. Oder ein Marienbild, etwa die Pietá – Maria hält den toten Jesus auf dem Schoß – oder Maria mit dem Kind auf dem Arm oder die Madonna, die schöne in sich ruhende Frau. Schaue so auf das Bild, dass du eins wirst mit dem Geschauten. Beurteile das Bild nicht. Schaue nicht auf die Einzelheiten, sondern lass das Bild in dich eindringen, dass es sich in dich einbildet. Dieses Schauen schafft eine tiefe Beziehung und Begegnung mit dem Jesus, dem Heiligen, mit Maria, die auf diesem Bild dargestellt sind. Es strömt etwas hin und her zwischen dir und dem auf dem Bild Dargestellten. Das Schauen kann aber noch tiefer gehen. Du wirst im Schauen
selber das Bild. Christus bildet sich in dich ein. Du trägst ihn in dir, du wirst von seinem Geist durchdrungen und verwandelt. Maria ist in dir, bringt dich in Berührung mit deiner inneren Schönheit, mit den weiblichen Seiten deiner Seele, mit der Liebe und Zärtlichkeit, die in dir sind. Lass dich vom Schauen verwandeln. Vielleicht erahnst du dann, was Paulus im zweiten Korintherbrief vom Schauen in den Spiegel Jesu Christi sagt: »Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.« (2 Kor 3,18)
5.
Bilder, die Gemeinschaft stiften
Positive und negative Ausstrahlung
Bilder halten eine Gemeinschaft zusammen und stiften Identität. Je nach dem, welche Bilder sich eine Gemeinschaft gibt oder wählt, ergibt sich eine jeweils andere Ausstrahlung. Die Kirche hatte, um das eigene Selbstverständnis zu charakterisieren, lange das Bild der festen Burg, die auf dem Berg steht, die unverrückbar ist und über allen steht. Die katholische Kirche sang von sich voller Selbstbewusstsein: »Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land, aus ewgem Stein erbauet von Gottes Meisterhand.« Die evangelische Kirche kennt das berühmte Lied Martin
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