Die Heilsame Kraft Der Inneren Bilder
In derOster-Communio singen wir im sechsten Ton, dem optimistischen und freudigen Ton: Itaque epulemur in azymis sinceritatis et veritatis. Lasst uns ein feierliches Mahl halten mit den ungesäuerten Broten der Lauterkeit und Wahrheit. Sinceritas heißt auch das Unversehrte, Reine, Echte. Die Auferstehung will uns also in Berührung bringen mit dem ursprünglichen und unversehrten Bild, das Gott sich von uns gemacht hat. Und mit dem Bild der Wahrheit, das unserem wirklichen Sein entspricht. Wenn wir mit diesem wahren und unversehrten, unverstellten Bild in Berührung sind, dann sind wir frei. Dann erleben wir Auferstehung. Dann brauchen wir uns nicht zu verbiegen, um Bestätigung und Anerkennung von unserer Umgebung zu bekommen. Dann gehen wir aufrecht durch unser Leben. Wer sich in diesem Sinn von den Bildern der Auferstehung leiten lässt, wird kraftvoll und verjüngt, lauter und unverstellt, aufrecht und authentisch in diese Welt gehen und durch die Bilder der Auferstehung diese Welt heller und menschlicher machen und ihre eine gute Zukunft ermöglichen. Denn ohne die Bilder der Auferstehung gibt es keine Zukunft für uns und für unsere Welt.
Die Kraft des tiefen Schauens
Bei ihrem Bedürfnis, Bilder der Bibel darzustellen, hatten die Christen sich mit dem alttestamentlichen Bilderverbot auseinander zu setzen. Auf der einen Seite war ihnen klar, dass Gott nicht dargestellt, nicht gemalt werden kann. Aber sie begründeten ihre Bilder damit, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Christus ist das wahre Ebenbild des Vaters. Wer Christus sieht, der sieht den Vater. Westliche Theologen sprechen von Erinnerung. Indem wir das Bild betrachten, werden wir an die Heilstaten Gottes erinnert. Sie bilden sich gleichsam in unserem Innern ab und wirken so durch das Bild tief in unsere Seele hinein. »Je häufiger wir ein Bild beschauen, desto stärker wird in uns die Erinnerung und die Sehnsucht nach den Urbildern.« (RAC, Bild 336) Östliche Theologen sprechen von der Heiligkeit des Bildes. »Im Abbild ist etwas von der Heiligkeit des Urbildes gegenwärtig.« (Ebd. 337) Die östlichen Kirchenväter zitieren immer wieder die Stelle Gen 1,27, dass Gott den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat. Für Dionysios Areopagita »ist alles Sichtbare ein Bild des Unsichtbaren und umgekehrt werden wir durch die sinnfälligen Bilder zum göttlichen Schauen emporgehoben«. (Ebd. 337) Das Bild ist Abdruck des Urbildes. Indem wir uns das Bild einbilden, prägt sich das Urbild, prägt sich Gott selbst in unser Herz. Bilder anzuschauen ist daher ein spiritueller Akt. Es berührt den Menschen in der Tiefe seines Herzens. So schreibt Gregor von Nyssa, wie ihn ein Bild vom Opfer des Isaak tief berührt hat: »Oft sah ich ein Bild diesesschrecklichen Vorgangs und ging nicht ohne Tränen an diesem Anblick vorbei.« (LexSpir, Lange, 146 f.) Das Bild erschüttert den Beschauer. Es rührt ihn zu Tränen. Er erlebt das, was damals geschehen ist, gleichsam nach, indem er das Bild betrachtet.
Die Ostkirche hat die Bildertheologie der frühen Kirche in den Ikonen verwirklicht. Ikonen wollen nicht einfach nur das Irdische darstellen. Sie sind vielmehr gemaltes Evangelium, Frohe Botschaft. Der Geist Jesu soll in ihnen sichtbar werden. Daher sind sie heilige Bilder, die man nicht von außen betrachtet, sondern so beschaut, dass man eins wird mit dem Geschauten. Die Ikonen-Frömmigkeit entspricht der griechischen Mystik, die immer eine Mystik des Schauens war. Im Schauen werden wir eins mit dem Geschauten. In der Westkirche haben Bilder wie die Pietá und die Johannes-Minne die Herzen der Menschen berührt. In diesen Bildern haben die Frommen etwas vom Geheimnis Jesu Christi erfahren. Maria, die den toten Sohn auf dem Schoß hält, ist ein Bild, das den Menschen die Angst vor dem Tod nimmt. Im Tod werden wir in die mütterlichen Arme Gottes sterben. Und die Johannes-Minne, bei der Johannes an der Brust Jesu ruht, ist ein Bild für die mystische Liebe, die uns mit Jesus verbindet und eins werden lässt. Indem wir die Bilder anschauen, haben wir Teil am Urbild, haben wir teil an Gott, der uns in seine mütterlichen Arme schließt, wenn wir sterben, und an Gottes Liebe, in der wir uns hier und jetzt schon bergen dürfen, indem wir uns Jesus Christus anvertrauen, wie es Johannes auf diesem wunderbaren Bild tut.
Zahlreiche Legenden sprechen in den ersten Jahrhunderten vom Bild, das nicht von Menschenhand gemalt ist
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