Die Heimkehr des Highlanders
schrecklichen Tag denken, wenn sie den Weg ins Glen entlang ritt? Es war der einzige passierbare Pfad ins Tal, den man mit dem Pferd benutzen konnte.
Der Wald, durch den sie anschließend reiten mussten, machte Joan Angst. Im Sommer bildeten die saftigen Blätter der Eichen eine romantische Idylle, aber nun, da die Bäume kahl waren, wirkten sie kalt und abweisend.
Wortlos setzte der kleine Trupp seinen Weg fort, bis sie das Ende des Waldes erreichten, hinter dem sich der Pfad sanft hinunter ins Glen Dillon schlängelte. Sehen konnte man ihn wegen des Nebels freilich kaum, doch die Pferde, an Ritte im Gebirge gewöhnt, setzten sicher einen Huf vor den anderen, bis Ewan das Zeichen zum Anhalten gab.
Erst jetzt erkannte Marion, dass sie vor einem kleinen Steinhaus standen, aus dessen windschiefem Schornstein dichter Rauch quoll. Die einfache Holztür wurde vorsichtig einen Spalt geöffnet und der Kopf einer Frau erschien. Als sie erkannte, wer die Besucher waren, erhellte sich ihr Gesicht und sie rief erfreut: »Ewan! Latha math! Ciamar a tha thu 14 ?«
14 Guten Tag! Wie geht es dir?
»A Shinan! Dè do naidheachd 15 ?«
15 Hallo Sinan! Was gibt es Neues?
»Och dìreach mar as àbhaist 16 .«
16 Ach, nichts Neues.
Sinan wechselte zur englischen Sprache, begrüßte Màiri und Joan und machte einen artigen Knicks, als Ewan ihr Marion vorstellte.
»Wo finde ich deinen Mann?«, wollte Ewan wissen und reichte Peader den Zügel seines Pferdes. »Ist er drüben beim Schulhaus?«
Sinan wies mit dem Daumen hinter sich. »Aye, die Männer fangen bereits bei Anbruch des Tages mit der Arbeit an, du wirst staunen, wie weit sie schon gekommen sind.«
Zufrieden nickte Ewan. »Bring die Frauen bitte ins Haus und gib ihnen etwas Warmes zu trinken, aye?«
Während er und Peader im Nebel verschwanden, öffnete Sinan einladend die Tür. Drinnen war es schummrig, denn vor den glaslosen Fenstern waren Lammfelle gegen die Kälte angebracht.
Nur allmählich gewöhnten sich Marions Augen an das Dämmerlicht, ein einziges Talglicht stand auf einem Holztisch in der Mitte des Raumes. Malcolm und Sinan Grant hatten sieben Kinder, die um den Tisch herumsaßen und Haferbrei aus Holzschüsseln löffelten. Wie üblich warf Dougal, mit fünfzehn Jahren das älteste Kind der Familie, Màiri schmachtende Blicke zu, die sie jedoch beflissentlich übersah.
Anfangs hatte sich Dougal standhaft gegen das Lernen gesträubt, er war der Meinung, dass man weder lesen noch schreiben lernen musste, wenn man später ohnehin den Hof des Vaters übernahm, wofür es nur darauf ankam, Fähigkeiten im Ackerbau, der Schafzucht und dem Umgang mit einem Schwert zu besitzen.
Doch gerade dieser Junge, dem der erste leichte Bartflaum auf der Oberlippe wuchs, hatte sich als klug und wissbegierig erwiesen. Nach jeder Unterrichtsstunde mit seiner Familie hatte er die belesene Màiri nach anderen Ländern und deren Geschichte befragt und sein Blick hatte bewundernd an ihren Lippen gehangen, wenn sie ihm geduldig erklärte, was sie darüber wusste.
Nach dem Überfall auf Joan war Màiri nur noch gelegentlich in Begleitung ihres Bruders ins Glen gekommen und hatte ohne Joans Hilfe unterrichtet. Nun brannte Dougal darauf, dass das Schulhaus – an dem er fleißig mitarbeitete – fertig wurde, damit er noch mehr lernen konnte.
Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte Sinan ihre Kinderschar vom Tisch, die ohne Murren mit ihren Schüsseln aufstand und sich geschlossen in den kleinen Anbau begab, den Malcolm eigens für seine Sprösslinge errichtet hatte.
Nachdem die Besucherinnen Platz genommen hatten, nahm sie eine verbeulte Kanne vom Herd, stellte Blechbecher auf den Tisch und schenkte eine Flüssigkeit ein, die die Farbe von Kaffee hatte. Währenddessen plapperte sie unaufhörlich.
Vorsichtig nahm Marion einen Schluck. Der Geschmack war so bitter, dass er Marion Tränen in die Augen trieb.
»Wir rösten Eicheln und mahlen sie«, erläuterte Sinan, der Marions Miene nicht entgangen war. »Soll ich Euch etwas Ziegenmilch dazu geben?«
Marion schüttelte den Kopf und betonte, dass sie sich durchaus an das Getränk gewöhnen könne – und nach einigen weiteren Schlucken brannte der Eichelkaffee tatsächlich nicht mehr auf der Zunge.
»Wie geht es deinem Söhnchen, Sèonag?«, wandte sich Sinan an Joan. »Ewan sagt, er ist das prächtigste Kind, das die Sonne je gesehen hat.«
Joan lachte. »Sagt das nicht jeder Vater von seinem Kind? Aber Ewan hat Recht.
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