Die heimliche Braut
arm und müssten warten, bis sie das nötige Geld zur Heirat aufgebracht haben.”
Sir Nicholas trat an das Bogenfenster. “Es scheint mir ein wenig viel verlangt”, sagte er, ohne Riona dabei anzusehen, “den guten Thomas zu einer Vermählung mit einer Frau zu drängen, welche zur Untreue neigen könnte. Womöglich führt man sie mir eines Tages vor und bezichtigt sie des Ehebruchs!”
“Mag sein, doch ich wage es zu bezweifeln”, warf Riona ein, wobei sie ebenfalls zum Fenster ging. “Anscheinend ist Polly eine brave Seele, und ist sie erst einmal unter der Haube, würde es mich wundern, wenn sie sich nicht als vorbildliche Ehefrau und Mutter erweisen würde. Diese Gelegenheit würde ich Polly ungern versagen, erst recht nicht wegen eines zungenfertigen normannischen Schmeichlers, der glaubt, Mägde seien gleichzusetzen mit Dirnen, wenn auch ohne Freudenhaus!”
Sir Nicholas drehte sich um und verschränkte die Arme über der breiten Brust. “Unangenehme Worte, Verehrteste!”
“Eine unangenehme Wahrheit, Mylord”, konterte sie, “aber auch eine, die Ihr nicht leugnen könnt.”
“Wenn diese Polly unbedingt ihre Jungfräulichkeit preisgeben will – wozu sollte ausgerechnet ich den Tugendwächter spielen?”
Falls er von ihr eine Antwort erwartete, die in seinem Eigeninteresse lag, so sei es! “Weil eine solche Frau für beträchtliche Spannungen unter Eurem Gesinde sorgen könnte, Mylord! Da wird es Neid und Zwietracht geben und auch Nebenbuhlerinnen, die Pollys Beispiel folgen möchten! Womöglich habt Ihr beizeiten etliche blaublütige Bastarde am Halse!”
“Ihr scheint über die Maßen besorgt um Menschen, die Ihr kaum kennt!”
“Daheim zählt es zu meinen Aufgaben, stets auf dem Laufenden zu sein und zu wissen, was sich unter den Dienstboten tut. Vielleicht hätte ich mich nicht einmischen und mir Pollys Kummer gar nicht erst anhören sollen. Es ist die Macht der Gewohnheit.”
Er begab sich zum Tisch. Sie wich zurück, bis sie begriff, was sie da tat und welchen Eindruck dies bei ihm hervorrufen konnte.
Auch er blieb stehen, die Hand leicht auf die Sessellehne gestützt. Riona bemühte sich, nicht auf die starken Finger zu starren, die Knöchel, die sonnengebräunte Haut …
“Ich werde mir Euer Anliegen durch den Kopf gehen lassen”, versprach er. “Wie es scheint, sorgt meine Art der Brautsuche für einige unerwartete Wohltaten.”
Sie riss ihren Blick von seinen kraftvollen Händen los und musterte ihr Gegenüber fest. “Das mag zwar sein, aber dennoch behagt mir nicht, auf welche Weise Ihr Euch ein Eheweib sucht, Mylord!”
“Meinem Bruder ebenfalls nicht”, räumte er ein. Dieses Geständnis verblüffte Riona. “Leider habe ich nicht die Zeit, durch die Lande zu ziehen und nach der passenden Gemahlin zu suchen. Da war es einfacher, alle Bewerberinnen auf meine Burg zu laden.”
“Wie wenn man Schafe zum Viehmarkt treibt”, empörte sie sich, während sie das Verlangen, das sich in ihr regte, zu unterdrücken versuchte.
Er nahm den Vorwurf gelassen. “Wenn diese Frauenzimmer sich wie Vieh behandeln lassen, Mylady, ist dies der Welten Lauf. Dafür kann ich nichts. Und hätte ich nicht überall verbreiten lassen, dass ich auf Brautschau bin, dann wäre Euer Onkel nicht nach Dunkeathe aufgebrochen. Allmählich stellt sich heraus, dass er ein sehr interessanter Geselle mit äußerst originellen Einfällen ist.”
Ihr stand nicht der Sinn nach einer Diskussion über ihren Onkel, weshalb sie sich zur Tür begab.
“Versteht er wirklich so viel von der Schafzucht?”
Verärgert über Sir Nicholas’ zweifelnden Unterton, drehte sie sich um. “Und ob!”
“Weswegen seid Ihr dann so arm?”
Sie straffte die Schultern, bereit, ihren heiß geliebten Onkel zu verteidigen. “Wegen seiner Güte. Er weist nie einen Hungernden oder Hilfsbedürftigen ab.”
“Dann seid Ihr also stolz auf ihn? Trotz seiner Schwächen?”
“Ich liebe ihn, und zwar ungeachtet seiner Fehler – aber auch gerade deswegen! Keiner von uns ist ohne Makel!”
Sir Nicholas’ Antwort war so leise, dass sie die Ohren spitzen musste, um sie zu hören. “Nein, allerdings nicht. Und ich erst recht nicht!”
Er trat auf sie zu, und plötzlich war ihr trotziger Mut wie weggeblasen. Heftig schluckend, wich sie zurück. “Euer Eingeständnis überrascht mich”, murmelte sie, bemüht, ihre Stimme nicht brüchig klingen zu lassen.
“Ich kenne meine Schwächen – ebenso wie meine Stärken.
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