Die heimliche Gemahlin
„Vergeben Sie mir bitte meine schockierende Offenheit, und ich versichere Ihnen, dass es wirklich in freundschaftlicher Absicht geschieht, aber mir ist nicht entgangen, in welchen Verhältnissen Sie leben, Daniel. Und wo. Es kann also kaum allzu gut um Ihr Vermögen bestellt sein.“ Niemand hatte ihm je auf so höfliche Art und Weise mitgeteilt, dass er ein armer Schlucker war. Dabei wirkte sie so ängstlich bemüht, ihn auf keinen Fall zu beschämen, dass er lachen musste. „Glauben Sie etwa, ich wohne im St. Giles, weil ich mir nichts anderes leisten kann?“ „Welchen anderen Grund könnte es dafür geben?“ „Schlicht, dass ich gern dort logiere.“
Sie schüttelte den Kopf. „Niemand lebt freiwillig in einer solchen Absteige.“
„Sie vergessen, was für ein Mann ich bin, meine Liebe. Ich gehöre dorthin. Hatten Sie etwa erwartet, ich würde mir ein großes Stadthaus in Mayfair kaufen und den Gentleman mimen? Selbst wenn ich mein Geld so leichtfertig zum Fenster hinauswerfen wollte - und danach steht mir wahrlich nicht der Sinn -, brächte es mir auch ansonsten keinerlei Vorteil. Ein Mann kann nicht durch ein teures Haus und elegante Kleidung verbergen, wer er wirklich ist. Erst wenn er seine niedere Herkunft zu verschleiern sucht und sich für einen anderen ausgibt, gerät er in ernste Schwierigkeiten.“
Restlos erstaunt betrachtete sie ihn. „Aber warum haben Sie sich dann um das Aussehen und die Ausdrucksweise eines Gentlemans bemüht, wenn Sie doch nie als einer zu leben gedenken?“
„Ausschließlich, um die Chancen zu nutzen, die Griffith mir eröffnet hat. Ein elegantes Haus brauche ich dazu allerdings nicht. Mein Privatleben geht niemanden etwas an, und daran wird sich nichts ändern. Ich gebe mich nicht gern als jemand aus, der ich nicht bin. Das habe ich nur einmal getan, um Griffith einen Gefallen zu erweisen. Ehrlich währt am längsten.“
Doch sie schien nicht überzeugt. „Erzählen Sie also all Ihren Kunden - dem Duke zum Beispiel -, dass Sie der Sohn eines Straßenräubers und ein ehemaliger Schmuggler sind?“
„Weder binde ich es den Leuten auf die Nase, noch mache ich ein Geheimnis daraus. Meist wissen sie ohnehin bald Bescheid, falls sie nicht schon von vornherein im Bilde sind. Die meisten meiner Kunden habe ich durch Griffith kennen gelernt.“ Dass einige der Herren von Zeit zu Zeit selbst mit Schmugglern zu tun hatten, behielt er lieber für sich. Immerhin musste ja irgendjemand die finanziellen Mittel für die Schiffe und deren Ausstattung vorstrecken. „Viele von ihnen haben miterlebt, wie ich sein Geld anlegte und er dabei ein Vermögen machte. Da wollten sie nicht zurückstehen. Solange sie durch mich gut verdienen, kümmert es sie nicht im Geringsten, wer ich bin. Meine diesbezügliche Ehrlichkeit erhöht nur ihr Vertrauen in mich.“
Erneut schüttelte sie den Kopf. Offenbar konnte die Dame nicht nachvollziehen, dass ein Mann es vorzog, er selbst zu sein, statt den feinen Herren zu spielen. Schließlich verbarg sie ihr wahres Wesen stets tief in ihrem Innern, so dass niemand ahnte, welch eine Frau wirklich in ihr steckte.
An diesem Nachmittag aber war ihm ein kurzer Blick auf ihren wahren Charakter vergönnt gewesen. Sie war nicht die steife wohlerzogene Dame, die ein Leben wie eine zarte Pflanze im Gewächshaus führen sollte. Aus einer teuflischen Laune heraus juckte es ihm in den Fingern, dieses gläserne Gefängnis zu zertrümmern und sie zu befreien.
„Außerdem“, ergänzte er, „ist es auch für meine Geschäfte hilfreich, im St. Giles zu wohnen. Vermögen werden nicht ausschließlich in den Londoner Clubs verdient, meine Liebe. Was glauben Sie wohl, wo ein Minenbesitzer sich nach einer Bande Schlägern umsieht, die überfällige Rechnungen für ihn eintreiben? Oder schnapsselige Matrosen von der Ladung ihres Schiffes berichten? Im Schankraum des St. Giles! Ein verständiger Zuhörer kann aus diesen Geschichten manch wichtige Schlüsse ziehen. Wann die Teepreise steigen werden, zum Beispiel, oder ob eine Mine vor dem Bankrott steht.“
Erstaunt schaute sie ihm in die Augen. „Darüber habe ich nie nachgedacht.“
„Das tut niemand, Teuerste. Deshalb ist die Lage für mich ja so günstig.“
„Ja, ich verstehe.“ Sie brachte ein Lächeln zu Stande. „Dennoch möchte ich Ihnen versichern, wie sehr ich zu schätzen weiß, dass Sie um meinetwillen und für Juliet all diese Strapazen auf sich nehmen. Nach dem heutigen Tag hätte ich Ihnen
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