Die heimliche Gemahlin
wollte.
Seit zwei Tagen hatten sie sich nun schon in dem winzigen Steincottage aufgehalten und darauf gewartet, dass Wills Freunde, denen das Boot gehörte, das sie beide nach Schottland bringen sollte, im nahen Rye Harbour ankamen. Juliet und Will hatten die Zeit eigentlich recht angenehm verbracht, obwohl Will darauf bestanden hatte, dass sie das Haus nicht verließ. Wie er sagte, durften sie nicht riskieren, gemeinsam gesehen zu werden, falls jemand nach ihnen suchte.
Also hatten sie Schach gespielt, und er hatte ihr einige Bücher zu ihrer Zerstreuung besorgt. Er kaufte, worum auch immer sie ihn bat. Genau genommen lebten sie ganz wie ein Ehepaar zusammen - abgesehen davon, dass sie im Bett des Schlafzimmers nächtigte, während er auf einer dünnen Matratze im Nebenzimmer schlief. Eigentlich hätte sie begeistert sein müssen, einen ersten Vorgeschmack auf ein gemeinsames Leben zu erhaschen.
Weshalb also spionierte sie ihm jetzt mitten in der Nacht nach?
Weil etwas nicht stimmte. Sie konnte allerdings nicht sagen, was ihr merkwürdig vorkam. Seit ein paar Tagen verhielt er sich anders als zuvor. Zwar gab er sich immer noch liebenswürdig und zuvorkommend, aber er konnte eine gewisse innere Unruhe und Anspannung nicht verbergen. Manchmal war er tief in Gedanken versunken, ganz, als ob ihn schwere Sorgen quälten. Ob er die Entführung vielleicht bereute? Weigerte er sich deshalb, sie zu küssen?
Allein die Vorstellung, er könnte ihr die Ehe verweigern, schien ihr unerträglich! Nachdem sie jetzt seit einer Woche von zu Hause fort war, ohne verheiratet zu sein, wurde ihr langsam klar, wie viel sie mit dieser Flucht gewagt hatte. Falls er es sich jetzt doch noch anders überlegte, war sie für den Rest des Lebens ruiniert, obwohl er sich ihr nie anders denn als vollkommener Gentleman genähert hatte.
Plötzlich hörte sie Hufgetrappel auf dem Kopfsteinpflaster der Landstraße. Es kam allerdings nicht aus Richtung Rye, sondern von der Stadt her. Im Schatten des Tores beobachtete sie, wie eine dunkle Gestalt auf einem Pferd neben Will zum Stehen kam. Mochte dies der Freund sein, dem das Cottage und der Kutter gehörten? Aber weshalb trafen die beiden sich dann heimlich und im Schutze der Finsternis? Und wieso ausgerechnet hier?
„Hallo, Jack“, sagte Will.
Der Mann stieg ab und sah sich misstrauisch um. „Hallo, Pryce.“
Juliet erstarrte. Wer war Pryce? Meinte der Kerl Will damit? Ängstlich zog sie die Pelerine enger um die schmalen Schultern.
„Hast du das Mädchen bei dir?“ fragte Jack.
„Ja.“
„Gab es irgendwelchen Ärger auf dem Weg hierher? Es ist doch die Älteste?“
„Nein. Bei der habe ich es versucht, aber die wollte nichts von mir wissen. Also musste ich die Jüngste nehmen.“
Die Kälte und Sachlichkeit in Wills Ton ließ Juliet erschaudern. Die Älteste? Sprachen die beiden von Helena? Die war immer ganz sicher gewesen, dass Will ein Mitgiftjäger war. Guter Gott, sollte sie Recht gehabt haben?
„Sie glaubt noch immer, du willst sie heiraten?“ erkundigte sich Jack.
„Natürlich.“
Ihr wurde vor Angst fast schwindelig. Nein, ganz unmöglich, sie konnte sich doch nicht derart in Will getäuscht haben! Mit dem Mut der Verzweiflung wagte sie sich noch einen Schritt weiter vor, um die beiden besser belauschen zu können. Wie sie doch hoffte, sich schlicht verhört zu haben!
„Gut, das wird uns die Arbeit erleichtern“, antwortete Jack. „So ist es für alle Beteiligten besser. Wie lange kannst du die Maskerade noch aufrechterhalten?“
„Solange es sein muss. Sie ist ein süßes Ding und sehr unschuldig. Die wird alles glauben, was ich ihr erzähle.“ Wills Stimme klang ruhig und unbeteiligt. Seine Worte versetzten Juliet einen Stich. „Mach Crouch nur klar, dass er jetzt seinen Teil der Abmachung erfüllen muss. Sonst bringe ich Juliet zu ihrer Familie zurück, und sein Plan scheitert. Hast du verstanden?“
„Keine Sorge, er wird sich an die Abmachung schon halten“, erwiderte Jack. „Sieh du nur zu, dass du die Kleine beschäftigst, bis wir das Lösegeld für sie haben, dann wirst du kriegen, was du verlangt hast.“
Lösegeld! Entsetzt rang sie nach Luft. Dies war also keine Flucht ins Glück, sondern eine Entführung! Und sie Närrin hatte diesen Kerlen auch noch in die Hände gespielt! Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie versuchte, nicht zu weinen.
Das hier musste ein böser Albtraum sein. Gleich würde sie auf Swan Park in ihrem Bett aufwachen
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