Die heimliche Gemahlin
Straßen werden uns viel Zeit kosten. Wenn wir jetzt viel essen, müssen wir vor Sedlescombe nicht mehr halten.“
Während er sich wieder dem Teller zuwandte, saß sie neben ihm und kochte vor Wut. Himmel, dieser Mann konnte einem wirklich auf die Nerven fallen! Sie ahnte, dass er ihr etwas verschwieg.
Aber was? Fieberhaft rief sie sich noch einmal die Ereignisse der letzten beiden Tage in Erinnerung: die vielen Unterhaltungen, die Begegnung mit den Schmugglern und die Eröffnung, die er ihr gerade gemacht hatte.
Plötzlich kam ihr ein erschreckender Gedanke: Hatte Daniel selbst auch für Crouch gearbeitet, als er noch als Schmuggler tätig gewesen war?
Die Erklärung schien ihr einleuchtend. Wenn Daniel wirklich zu Crouchs Bande gehört hatte, wusste er selbstverständlich, wie der Mann dachte und sich verhielt. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Also hatten die Kerle es bei dieser Entführung nicht nur auf Griffith abgesehen, sondern auch auf Daniel! Diese Verbrecher hatten sich Juliets bemächtigt, weil deren Schwester Helena mit Daniel, dem alten Spießgesellen der Schmuggler, in Verbindung stand ...
Einen Augenblick, schalt sie sich dann, jetzt ziehst du schon wieder voreilige Schlüsse, was Daniel angeht. Erinnere dich nur an den Ärger, den du deshalb beim letzten Mal bekommen hast.
Sie musste augenblicklich mit diesem Unsinn aufhören. Wenn Daniel tatsächlich einer von Crouchs Kumpanen gewesen wäre, hätte er ihr das nicht verschwiegen. Immerhin hatte sie ihn unumwunden gefragt, ob er den Mann kannte, und er hatte dies verneint. Er wollte sie nie wieder belügen. Das hatte er geschworen.
Warum hätte er ihr sonst auch seine Befürchtungen wegen Crouch und einer möglichen Entführung offenbaren sollen? Weshalb so offen über all dies reden, wenn er ihr seine eigenen Verbindungen zu Crouch verheimlichen wollte?
Nein, diesmal würde sie ihrem üblichen Misstrauen gegenüber dem starken Geschlecht nicht nachgeben. Wenn es je einen Mann gegeben hatte, der ihr Vertrauen verdient hatte, war es Daniel Brennan. Guter Gott, er verschleierte ja nicht einmal vor seinen Kunden die eigene Vergangenheit! Warum sollte er es dann in ihrem Fall tun?
Also konnte sie ihm getrost abnehmen, dass es keinerlei Anlass zur Sorge gab. Unmöglich, dass er ihr frech ins Gesicht log, nach allem, was sie miteinander erlebt hatten.
12. KAPITEL
Ich habe sie belogen, zum Teufel, dachte Daniel nun wohl zum fünfzigsten Mal, seit sie vor etwa drei Stunden in Tunbridge aufgebrochen waren. Sie saßen im einzigen Wagen, den man im Rose and Crown hatte mieten können: Es war ein uraltes Gig - die Sitze waren vollkommen durchgesessen, und auch sonst wirkte das Gefährt ausgesprochen altersschwach.
Was hatte ihn nur dazu getrieben, sie anzulügen, nachdem er ihr geschworen hatte, dies unter gar keinen Umständen je wieder zu tun. Bisher hatte er noch nie ein Geheimnis aus seiner Verbindung zu Crouch gemacht. Oder seiner Vergangenheit überhaupt. Deshalb wohnte er auch im St. Giles. Er wollte niemanden darüber im Unklaren lassen, wer er war und woher er kam. Jeder wusste bei Daniel Brennan, wen er vor sich hatte.
Was die Menschen von ihm hielten, war ihm vollkommen gleich - nur bei Helena verhielt sich das anders. Sie bedeutete ihm viel. Zu viel. Damals hatte sie sich in ihrer Not im Gasthaus voller Vertrauen an ihn gewandt - und er war ihr die Wahrheit schuldig geblieben.
Aber hatte er überhaupt eine Wahl gehabt? Er musste sie belügen, wenn er ihr Vertrauen und ihren Respekt nicht aufs Spiel setzen wollte. Ihre hohe Meinung von ihm war das Kostbarste, was er auf dieser Welt besaß. Er hätte für Helena Berge versetzt. Sie sah in ihm weder den Sohn eines Straßenräubers noch den Schmuggler. In ihren Augen war er Daniel Brennan, der Mann, der ihre Schwester retten würde.
Und eben darum durfte er ihr verdammt noch einmal niemals von diesem dunkelsten Punkt seiner Vergangen-heit erzählen. Sonst würde sie ihn verabscheuen. Wenn sie je herausfand, dass er nicht nur ein kleiner Laufbursche für die Schmuggler gewesen war, ja, er gar für den Mann gearbeitet hatte, der jetzt ihre Schwester in seiner Gewalt hielt ...
Fest umklammerte er die Zügel. Der Gedanke kam ihm unerträglich vor. Sie durfte die Wahrheit nicht erfahren. Er musste Juliet befreien, ohne dass ihre Entführer errieten, wer ihnen diesen Streich gespielt hatte.
„Pass auf!“ rief Helena, als ein Hase dem Pferd vor die Hufe lief. Er entkam nur knapp. „Fast
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