Die heimliche Gemahlin
lesen.“
„Weshalb?“
„Weil es mir helfen wird, dich besser zu verstehen.“ Erstaunt und ein wenig schockiert musterte sie ihn. „Was ist denn so rätselhaft an mir?“
„Alles. Vor allem möchte ich wissen, warum du dein wahres Wesen vor anderen verbirgst.“ Er beugte sich zu ihr und flüsterte: „Außer, wenn du betrunken bist.“
Ihre Wangen wurden kirschrot und bildeten einen auffälligen Gegensatz zu dem dunklen Grün des Huts auf ihren Locken. „Du wirst feststellen, dass Mrs. Nunley keine besonders aufregende Lektüre darstellt.“
„Das bezweifle ich.“ Er schlug das Buch in der Mitte auf. „Mal schauen. ,Eine wohlerzogene junge Dame wird nicht lautstark widersprechen oder sich gar streiten.“ Hm, der Satz muss dir wohl immer entgangen sein.“
Sie zog die Brauen hoch. „Es ist in deiner Gesellschaft nicht einfach, diesen Anweisungen zu folgen.“
„Gott sei Dank! Du gefällst mir nämlich viel besser, wenn du sie in den Wind schlägst.“ Er lächelte sie an. Dann blätterte er einige Seiten weiter. „Hier habe ich eine bemerkenswerte Stelle gefunden. ,Die wohlerzogene junge Dame verbirgt in der Öffentlichkeit unter allen Umständen ihre Strümpfe. Die Röcke müssen die Knöchel stets bedecken. Stell dir nur vor! “ Er griff nach ihren Röcken, hob sie an und betrachtete ihr hübsches Bein, während sie versuchte, seine Hand wegzuschlagen. „Ausgezeichnet. Diese Regel scheint dir also vertraut zu sein.“
Sie lachte, obwohl sie erneut bis unter die Haarwurzeln errötet war. „Lieber Himmel, Daniel, manchmal bist du wirklich ungezogen.“
„Fällt dir keine bessere Beleidigung ein? Auf welcher Seite wird denn erklärt, was die wohlerzogene junge Dame einem aufdringlichen Herrn entgegnen sollte?“
„Seite fünfundfünfzig.“
„Teufel, du kennst das Ding wirklich auswendig. Ich hätte mir ja aber eigentlich denken können, dass dies deine Lieblingsstelle ist.“ Er fand die Seite, las und begann zu lachen. „So, so. Dies ist also die schlimmste Beleidigung, zu der eine Dame fähig ist: ,Sir, Sie sind kein Gentleman.“ Hört, hört!“
„Gewöhnlich zeigt die Bemerkung Wirkung“, erwiderte sie.
„Weshalb hast du es damit dann noch nicht bei mir versucht?“
„Weil du es wahrscheinlich für ein Kompliment gehalten hättest.“
Er tat, als wäre er tief verletzt, und schlug sich theatralisch die Hand vor die Stirn. „Oh, du brichst mir das Herz, mein Kind.“
„Dabei besitzt du gar keins“, gab sie galant zurück. „Schon besser. Deine Beleidigungen machen sich“, neckte er sie. „Mrs. Nunley schweigt sich bedauerlicherweise darüber aus, was die Zurechtweisung des Sohnes eines Straßenräubers angeht. Aber zum Glück bist du ja nicht auf den Mund gefallen.“
„Wenn du dich nicht benimmst, Daniel Brennan, verfalle ich vielleicht sogar auf den Gedanken, dich am Straßenrand stehen zu lassen“, warnte sie ihn, während ihre Augen amüsiert funkelten.
„Nichts läge dir ferner“, widersprach er. „Immerhin brauchst du mich.“
„Stimmt, obwohl ich wünschte, dem wäre nicht so.“ „Lügnerin.“
Sie versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. Doch ihre Bemühungen schlugen fehl, und Daniel stimmte lauthals mit ein. Wieder schlug er das Buch auf. „,Die wohlerzogene junge Dame hält stets dreißig Zentimeter Abstand zu ihrem männlichen Begleiter.“ Mit gespieltem Entsetzen betrachtete er ihr Bein. „Rück weiter ab, Helena. Deine Aufdringlichkeit kompromittiert mich.“
Sie verdrehte die Augen. „Dafür bräuchtest du einen Ruf, den man ruinieren könnte. Und an dem mangelt es dir unzweifelhaft. Das hast du mir nachhaltig bewiesen, als ich dich in London auf suchte.“
„Weil ich in Unterhosen zur Tür kam?“
„Nein, weil du Unterhosen für die angemessene Bekleidung hältst, wenn du zu Hause bist.“
„Du hast mich an jenem Morgen in einem ungünstigen Augenblick angetroffen. Sei froh, dass ich überhaupt etwas angezogen habe, als es klopfte.“ Erneut beugte er sich zu ihr und hauchte ihr ins Ohr: „Doch wenn ich mich recht erinnere, hattest du gar nichts gegen den Anblick.“ „Lächerlich“, protestierte sie, und ihre Wangen leuchteten in sanftem Rosé, was ihm ausgesprochen gefiel.
„Mrs. Nunley hat einen wichtigen Bereich des Lebens vollkommen vergessen“, erklärte er dann und blätterte erneut in dem Buch.
„Was meinst du? Zeichnungen nackter Frauen?“
Ihr schnippischer Ton amüsierte ihn. „Ja, auch das. Aber ich
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