Die heimliche Lust
Der trivialste aller Tricks. Die klassische Freudsche Fehlleistung.
Ihr Schuldgefühl — oder was immer es war, da sie sich bis dahin nicht des leisesten Gewissensbisses bewußt gewesen war — dauerte so lange, wie Jonathan unter der Dusche blieb. In dem Augenblick, in dem er herausstieg, erinnerten sie der stämmige Körper, in den sie sich Augenblicke zuvor verloren hatte, und das tropfnasse schwarze Haar, in das sie ihr Gesicht vergraben hatte: dieser Mann, dieser intensive, fordernde, wilde Mann, dieser angesehene Psychologe, der die meiste Zeit ziemlich verrückt wirkte, war einfach unwiderstehlich.
Der Grund, warum June neun Jahre zuvor überhaupt geheiratet hatte — so erzählte sie mir, als ich sie am 1. Juni 1988 zu interviewen begann — , sei ihr Wunsch nach einem Kind gewesen. Dieses Motiv beunruhigte sie mehr als ihr nun bevorstehender 40. Geburtstag, als entwerte es ihre Partnerwahl, als sei dies eine kaltblütige, unromantische Entscheidung gewesen, im Stil jener Paare in ihrem Bekanntenkreis, die zu heiraten beschlossen, wenn einer der beiden Mietverträge auslief, und die ihre Eheschließung als eine steuersparende, wirtschaftliche Lebensstrategie planten. Sie erinnerte sich, daß Russell lange Zeit den Pragmatismus ihrer gemeinsamen Entscheidung verteidigt hatte, daß auch er sich ein Kind gewünscht hatte und daß er seither immer wieder betont hatte, wie richtig ihre Überlegung damals gewesen sei. Es sei nicht unromantisch gewesen, versicherte er ihr — aber sie seien beide immerhin 27 Jahre alt gewesen — , ihrer beider Motivation habe nichts Bemängelnswertes oder Fusionsartiges angehaftet, und natürlich hätten sie irgendwann sowieso geheiratet.
Aber daß er immer wieder versicherte, wie unvermeidlich ihr Zusammengehen gewesen sei, vermochte sie nicht zu beschwichtigen, ohne daß sie recht sagen konnte, warum. Sie wußte, daß ihre neuerdings auftretende zwanghafte Beschäftigung mit den Motiven ihrer lang zurückliegenden Heirat gefährlich deplaziert war. Es war, als ob ihre Gedanken jetzt, achtzehn Jahre später, immer noch um die Entscheidung kreisten, an die Universität von Kalifornien zu gehen oder Reporterin zu werden, was ebenso praktische Erwägungen gewesen waren. Sie liebte Russell immer noch; sie liebte ihre achtjährige Chloe. Es war daher töricht, sich so intensiv mit den Gefühlen bei einem Ereignis auseinanderzusetzen, das vor neun Jahren stattgefunden hatte. Als ob das erfolgreiche Herauspräparieren der damaligen Motive ihr einen Anhaltspunkt für den grundlegenden Fehler in ihrem Denken liefern würde, der die eine erstaunliche Tatsache in ihrem Leben erklären konnte, für die sie keine Erklärung hatte: ihr Verhältnis mit Jonathan.
Was sie besonders verstörte, war, daß sie so leicht war, diese Sache mit der Untreue. Sie hatte immer die gedankenlose Erklärung untreuer Eheleute verabscheut — »Ich weiß nicht, es ist einfach irgendwie passiert« — , da sie wußte, daß nichts »einfach passiert«. Es gab immer Gründe. Es war eine Mischung aus Anfälligkeit und Absicht und Unzufriedenheit, aus Planung und Lust und Bedürfnis, all dies und noch mehr, die aus einem Bekannten einen Geliebten macht. Wenn das bloß in der Erklärung gipfelte, daß es »einfach passiert« sei, dann wußte der Betreffende nichts über sich. Aber obwohl sie glaubte, sich selbst besser zu kennen, hatte sie diesen blinden Fleck: Sie konnte nicht genau identifizieren, was die Ursache ihrer Unzufriedenheit war, wußte nicht recht, was die Ungeheuerlichkeit ihres Bedürfnisses verursachte und wie sie eigentlich an den Punkt gekommen war, an dem sie jetzt stand.
Sie und Russell hatten beide fest an Monogamie geglaubt, zumindest in ihrer eigenen Ehe. Wie überzeugt hatten sie über den nicht wieder gutzumachenden Schaden von außerehelichen Beziehungen geredet, über den moralischen Imperativ einer sexuellen Bindung; selbst wenn sie in einer Gesellschaft lebten, deren Wertvorstellungen ins Wanken geraten waren, bedeutete das nicht, daß sie sich davon anstecken lassen mußten. Und dennoch hatte June seit Monaten, vielleicht schon seit einem Jahr viel über außerehelichen Sex nachgedacht, obwohl sie mit ihrem Sexualleben nicht unglücklich war. Dennoch waren sie da, diese allgemeinen und beunruhigenden Gedanken. Wie machen Frauen das? Wie haben sie Zeit dazu? Wo gehen sie hin? Wie würde sich das auf sie auswirken, falls sie je etwas so Unbesonnenes und Verbotenes täte — wie würde
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