Die heimliche Lust
als selbst eine enge Freundin oder Therapeutin. Viele wollten ihre Gefühle zusammen mit einer Geschlechtsgenossin erforschen und herausfinden, was andere Frauen empfanden und wie deren Leben verlief. Und sie hofften, daß andere sich weniger stigmatisiert und weniger allein fühlen würden, wenn sie ihre Erfahrungen mitteilten.
Was die Frauen berichteten, unterschied sich von dem, was über Frauen gesagt wird. Tatsächlich wurde vieles von dem, was mir aus der Literatur über Frauen und außerehelichen Sex bekannt war, durch die Äußerungen dieser Frauen weder illustriert noch bestätigt. Ich hörte artikulationsfähige, leidenschaftliche Frauen über ihr sexuelles Selbst außerhalb ihrer Ehe sprechen, sie brachen das Schweigen und rangen darum, in all dem einen Sinn zu finden. Stimmen wie die ihren fehlten jedoch auffallend in den wissenschaftlichen Abhandlungen. Auch in der psychoanalytischen Literatur, die voll ist von Theorien über weibliche Sexualität und Deutungen der geheimsten Motive außerehelicher sexueller Aktivität von Frauen, kommen wenige Frauen selbst zu Wort, und selten nehmen Frauen die Deutungen vor. Ich entdeckte, daß die eigenen Geschichten der Frauen nicht mit den Geschichten übereinstimmten, die ich »kannte«; daß das, was sie sagten, etwas anderes war als das, was mich die Literatur glauben gemacht hatte.
Ich mußte eine Entscheidung treffen: entweder die Frauen der Literatur anzupassen, in welchem Fall ich viele ihrer Äußerungen als irrelevant oder unwahr hätte übergehen müssen; oder zu glauben, was sie mir mitteilten, in welchem Fall ich manche tief verwurzelte Vorstellung über Frauen und deren Wünsche würde überprüfen müssen. Ich beschloß, es mit den Frauen zu halten, weil vieles, was ich von ihnen gehört hatte, bedeutsame Übereinstimmung zeigte und ihnen wirklich unter den Nägeln zu brennen schien. Ihre Stimmen sollten die wichtigsten Stimmen in meinem Buch sein.
Sobald ich mir darüber klargeworden war, wurden meine Interviews mit den vielen Psychologinnen, PsychiaterInnen, SoziologInnen und EhetherapeutInnen sekundär gegenüber den Gesprächen mit den Betroffenen selbst. Eine neue Geschichte entfaltete sich; wenn ich einen Sinn darin finden sollte, durfte ich ihr nicht meine eigene oder jemandes anderen vertrautere Geschichte darüberstülpen.
Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Studie. Meine Fragen und Resultate analysiert nicht der Computer, sondern ich selbst. Meine Schlußfolgerungen sind, da sie von den Frauen selbst stammen und von mir interpretiert werden, völlig subjektiv. Diese Frauen repräsentieren nicht alle Amerikanerinnen, ja nicht einmal alle weißen, heterosexuellen Amerikanerinnen, und ich behaupte nicht, daß ihre Geschichten unbedingt typisch sind. Allerdings haben die intensiven Gespräche mit den Frauen es mir ermöglicht, weitaus mehr über ihre Ehe und ihr Leben, über ihre Gedanken, Hoffnungen und Träume zu erfahren, als ich gehofft hatte.
Die Frauen, die mit mir sprachen, taten das, wie bald klar wurde, nicht in der Absicht, eine Geschichte mit tragischem Ausgang zu erzählen (vielleicht waren diejenigen, die traurige Geschichten zu erzählen hatten, weniger bereit, mit mir zu sprechen). Sie kamen — und ich glaube nicht, daß ihnen das im Augenblick bewußter war als mir — , weil sie eine erstaunliche Entdeckung über sich selbst gemacht hatten und der Katalysator dieser Entdeckung eine außereheliche Beziehung gewesen war. Ich betone außereheliche Beziehung, und nicht außerehelicher Sex, weil es die dauerhaften Freundschaften und nicht die flüchtigen Begegnungen waren, die für das Leben dieser Frauen Bedeutung erhielten. Interessanterweise haben Untersuchungen ergeben, daß sich durch Aids zwar die Häufigkeit von Abenteuern für eine Nacht verringert hat und der Wunsch nach sexueller Ausschließlichkeit gestiegen ist, daß längerfristige Beziehungen jedoch davon nicht berührt wurden.
»Zügellose Leidenschaft«
Ein paar Anmerkungen:
Genaugenommen bedeutet der Begriff »Monogamie« Ehe mit einem Partner. Ihr Gegenteil ist nicht »Untreue«, sondern »Polygamie«, aber ich gebrauche den Begriff hier ebenso, wie die Frauen ihn benutzen, im umgangssprachlichen Sinn von sexueller Ausschließlichkeit in einer Ehe. Ich habe die Konnotationen der verschiedenen Begriffe erwogen, die für außerehelichen Sex existieren — so impliziert »Ehebruch« für mich einen abgeschlossenen außerehelichen Sexualakt, der sowohl
Weitere Kostenlose Bücher