Die heimliche Lust
habe ich Sie mir in diesem Kleid vorgestellt. Sie sind perfekt. Haben Sie irgendein Gel ?« fragt er und streicht ihr eine kleine Strähne aus der Stirn. »Ja«, antwortet Paula, »aber ich benutze es nur im Sommer, wenn meine Haare naß sind .« »Nehmen Sie es«, befiehlt Jimmy. »Ihr Haar muß wie angeklatscht sein. Sie müssen ganz streng und schlicht aussehen. Der Effekt sind Sie — nackt — und dieses Kleid. Nicht zurechtgemacht, nicht dieser rote Lippenstift, den Sie so lieben — nackt, okay? — schöne Haut.«
»Okay«, verspricht Paula, elektrisiert durch seine Billigung, durch die Wirkung ihres neuen »nackten« Aussehens auf Jimmy.
»Und wir unternehmen etwas wegen der Haarfarbe, richtig? Wer hat Ihnen denn das angetan ?«
»Oh. Sie meinen den Grünstich ?« fragt Paula. »Den Le-Sueur-Look? Mögen Sie keine Dosenerbsen ?«
»Ich möchte es dunkler. Weniger aschgrau. Gehen Sie zu Constance. Sagen Sie ihr, daß Sie mich kennen. Sagen Sie ihr, ich möchte honigblond, okay ?«
»Okay.«
»Jetzt holen wir uns dafür eine Sandale«, kündigt Jimmy an. »Nichts Ausgefallenes. Nicht zu hoch. Ein Fünf-Zentimeter-Absatz. Silber, denke ich. Kommen Sie. Ziehen Sie sich an. Wir gehen in den dritten Stock .« Paula, inzwischen in Schweiß geraten, erfüllt von dem Vergnügen ihres — gemeinsamen — Sieges, zieht sich eilig um.
Als sie mit vor Befriedigung geröteten Wangen Bergdorfs verläßt, bewaffnet mit der Charmeuse-Robe und den Silber-Slippern, erscheinen ihr die Leute, die sich die 57. Straße entlangdrängen, wunderbar, farbig, von innen erleuchtet. Die Szene ist ein Zeichentrickfilm, ein charmanter Chaplin-Film, alles läuft ein bißchen zu schnell, alles ist bezaubernd. Ihr Was-für-eine-tolle-Stadt-Gefühl hält an, bis sie mit dem Bus von der 67. Straße den Park durchquert hat.
Und dann setzt es schnell ein: dieses Gefühl der Reglosigkeit, als stünde die Zeit plötzlich still. Es ist die Erkenntnis, daß dieses absolut traumhafte Seiden-Satin-Wasauchimmer-Kleid keine Bestimmung hat. Es wird nie getragen werden. Jimmys Intensität, sein obsessives Interesse an ihr, hat etwas in ihr angesprochen, was sie auf der vierten Etage von Bergdorfs , in einer Umkleidekabine, ausleben konnte. Diese Erregung und Freude, diese Pseudointimität, Jimmys beflissene Aufmerksamkeit — wegen eines Kleides. Und Schuhen. Scham überfällt sie.
Sie geht nach Hause, empfindet plötzlich Haß auf ihre Tüten. Die Putzfrau ist da. Sie kann es nicht ertragen, daß Flora sie mit weiteren Tüten von Bergdorfs ankommen sieht. Früher hat sie ihre Einkäufe vor George versteckt; jetzt versteckt sie sie auch vor Flora. Sie schließt die Tür auf und geht hinein, das himmlische Gewand und die Silber-Slipper läßt sie draußen. Da ihre Zugehfrau nicht in Sicht ist, packt sie die Tüten und steckt sie in den Flurschrank. Sie fühlt sich lächerlich. Ihr Herz klopft aus Angst, entdeckt zu werden. »Ich fürchte mich vor meiner Putzfrau«, stellt sie nüchtern fest und versucht, sich so weit zu beruhigen, daß sie ihr Wohnzimmer betreten kann. »Ich habe Angst, daß sie dahinterkommt. Daß ich in einem Hotel war? Nein. Daß ich einen Ladendiebstahl begangen habe? Nein. Daß ich Männerbesuch empfange? Nein. Ich habe Angst, meine Putzfrau könnte sehen, daß ich mir neue Kleider gekauft habe. Es darf nicht wahr sein .«
Paula weiß inzwischen, daß ihre Schuldgefühle und die nachfolgenden Depressionen das nötige Öl ins Feuer gießen, damit sich der ganze Vorgang wiederholt. Sie sind die Kehrseite der Euphorie, die Ausnüchterungsphase nach dem Exzeß; der Katzenjammer. Sie ermöglichen es ihr, die Kontrolle wiederzuerlangen, und bewahren sie vor Problemen.
Probleme stellten sich sieben Monate nach meinem ersten Gespräch mit Paula ein, und zwar, wie sie mir an einem Sommertag am Telefon sagte, in Gestalt eines Mannes Anfang 50 namens Harry.
Harry ist Illustrator. Sie lernte ihn bei seinem Verleger kennen, der ihr ein Manuskript mit seinen Zeichnungen zur redaktionellen Bearbeitung übergeben hatte. Lang bevor sie mit der Arbeit daran fertig war, besuchte Harry sie mit einem neuen Manuskript. Dann, als sie fertig war, kam er nochmals vorbei, um ihr zu danken. Er schlug vor, zusammen mittagessen zu gehen. Sie landeten in einem chinesischen Restaurant in der Stadtmitte. Dort unterhielten sie sich so gut, daß sie beschlossen, sich in der folgenden Woche zur gleichen Zeit am gleichen Ort wiederzutreffen.
Sobald sie
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