Die heimliche Lust
mehr kochen. Ich sollte cholesterinarme Speisen kochen — nein, mir so etwas ins Haus bringen lassen. Ich sollte ein Fitnesstraining anfangen. Vielleicht sollte ich George verführen. Nein, zum Teufel, George sollte mich verführen. Und so weiter.«
Zu Paulas »Sollte«-Geboten zählt ihre Verpflichtung zur Treue, obwohl sie nicht mehr ganz sicher ist, ob sich diese Verpflichtung aus Moral speist oder aus furchtbarer Angst. Oder aus sexueller Misere. Oder ob sie bloß bei etwas mitmacht, was sie einfach nie für ein verhandelbares Thema hielt. Daß sie eine Jungfrau war, als sie vor 23 Jahren im Alter von 24 George heiratete, wirke sich — wie sie meint — auf ihre Ambivalenz hinsichtlich des Ausprobierens von außerehelichem Sex aus. Die meisten ihrer verheirateten Freundinnen, die außerehelichen Sex hatten, hatten auch vorehelichen Sex gehabt. Das überzeugte sie davon, daß Liebesaffären Ähnlichkeit mit dem Radfahren haben: Was einem im späteren Leben leichterfällt, hat man vermutlich schon in der Jugend erlernt. Wenn Sex im Leben eines Menschen einmal eine Option dargestellt hat, zu dem Schluß ist sie gekommen, bleibe diese bestehen, ob verheiratet oder nicht. Aber für sie ist Monogamie eine Voraussetzung, keine Option.
»Mit jemand anderem zu schlafen, ist nicht etwas, worüber ich viel nachdenke — ehrlich — oder in Phantasien schwelge«, sagt sie. »Ich denke nicht: >Wenn George eine Affäre hat, dann fange ich auch eine an<, genausowenig wie es mir einfiele, George herumzukommandieren, weil er mich herumkommandiert. Wir sind verschiedene Menschen mit verschiedenen Verhaltensweisen. Ich wünsche mir nicht unbedingt, was er sich wünscht, und ebensowenig möchte ich sein, was er sein möchte.
Wissen Sie, wann ich mir wirklich ein Techtelmechtel mit einem Mann vorstellen könnte ?« fragt sie mich, als ob sie zum ersten Mal darüber nachdächte. »Gleich nach dem Einkaufen, wenn das ausgetrocknete Gefühl verschwindet und ich mich wie... eine reife Pflaume fühle. Ich fühle mich so gut, so hoffnungsvoll, so... scharf. Manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich genug einkaufen könnte, wirklich genug, um dieses Gefühl von Hoffnung und Erregung vielleicht eine Woche lang beizubehalten, dann hätte ich keine Lust mehr, einzukaufen, dann wäre ich in der Stimmung zu einem Seitensprung. Aber das Gefühl dauert niemals an, und sobald ich das Geschäft verlasse, kann ich kaum über das Abendessen nachdenken, geschweige denn über Sex .«
»Erzählen Sie mir noch mehr über Ihre Ehe«, sage ich. »Mehr über Ihre Rolle darin.«
»Ich habe versucht, in meiner Ehe eine eigene Person zu bleiben, aber das ist mir einfach nicht gelungen, weder im Bett noch außerhalb. Ich weiß nicht, warum, es ist sonderbar. Irgend etwas ist passiert, schon sehr früh; nichts Dramatisches, wohlgemerkt. Es wurde bloß... irgendwie weniger nah. Geschäftsmäßiger, als ob wir zusammen einen Betrieb führten. Aber ich dachte mir, nun ja, die Ehe... ist nun einmal so. Wenn man versorgt ist und wenn man freundlich zueinander ist, dann ist es eine erfolgreiche Partnerschaft, und welchen Sinn hätte eine Scheidung? Die Ehe ist ein Geschäft. Niemand in meiner Familie hat sich je scheiden lassen. In meiner Familie ist Scheidung ausgeschlossen. Das ist eine altmodische Einstellung, aber wenn ich an all diese Frauen in den siebziger Jahren mit ihren Selbstverwirklichungsgruppen denke — sie haben ihren Männern den Laufpaß gegeben, die Gruppen haben sie dabei unterstützt, und dann landeten sie für den Rest ihres Lebens in der Armut. Sie waren es, die als 46jährige in schrottreifen Kombiwagen herumfuhren, auf die Männer sauer waren und nie wieder heirateten. Wir sind ein bißchen realistischer .«
Es ist nicht so, daß sie ihren Mann, George, nicht leiden könnte; er geht, findet sie, mit der Auszehrung ihres dreiundzwanzig Jahre alten Beziehungslebens und mit ihrer jahrelangen respektvollen sexuellen Distanz in der einzigen Weise um, die ihm möglich ist — und dasselbe gilt für sie. Nur vier oder fünf ihrer gemeinsamen Jahre war sie sexuell engagiert, und daraus hat sie den Schluß gezogen, keine besonders starke Libido zu haben, jedenfalls nicht so wie George, oder wie George früher gewesen war. Sie ist glücklich, mit George verheiratet zu sein, und geht davon aus, daß er nach all diesen gemeinsam verbrachten Jahren ein Recht hat, seine wie auch immer gearteten Bedürfnisse zu befriedigen. Das gelte auch für
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