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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalma Heyn
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idealisiertes Selbst beschreiben, das sie zu kultivieren versuchte — , drängen sich jetzt in diesen ungezügelten Teil von ihr, der Begierde empfindet. Aber es funktioniert nicht. Dieses Selbst spricht nicht diese Sprache. Es reagiert nicht auf »sollte«, während ein Mann sie von außerhalb der Gemarkung lockt, ein anderer ihr drinnen die Sicherheit des Gewohnten bietet, steht sie im Zentrum des Dilemmas zwischen Selbstverwirklichung und Selbstlosigkeit. Sie sucht nach einer Antwort auf die Frage, wie sie sowohl ihrer Ehe als auch sich selbst treu bleiben kann. Ihre Entscheidung ist folgenschwer, das weiß sie. Was auf dem Spiel steht, ist die Quintessenz des Ideals und das, was den Ehemythos zusammenhält: ihre sexuelle Untadeligkeit. Wenn sie die aufgibt, weiß sie nicht, was ihr bleiben wird.
    Nach drei Monaten regelmäßiger Mittagstreffs mit Harry und sechs neuen Outfits für diese Begegnungen kann Paula der schwierigsten Frage nicht mehr ausweichen: ob sie Harry auf irgendeiner Basis haben kann — außer auf einer sexuellen. Die Möglichkeit, sich selbst an die erste Stelle zu setzen, vor George, vor ihre dreiundzwanzigjährige Ehe, sogar vor ihr Kind, stürzt sie in Verzweiflung: Das kann sie nicht tun! Jemand, den sie liebt, könnte verletzt werden. Aber was ist dann mit ihr? Mit dem, was für sie gut sein könnte? Nachdem Gefühle des Verlangens jetzt mit Gefühlen der Verantwortung in Widerstreit liegen, untersucht sie die betreffenden Fragen wie ein Juwelier, der einen Diamanten auf Mängel hin überprüft. Was ist denn eigentlich Untreue? Ist es, wenn man mit einem Mann Geheimnisse hat, Geheimnisse, die vielleicht nicht einmal der eigene Ehemann kennt, oder ist es, wenn man mit ihm zu Mittag ißt, ohne seinem Mann davon zu erzählen? Ist das Faktum der Freundschaft die Untreue oder daß man sie geheimhält? Beginnt die Untreue erst, wenn man mit diesem Mann schläft? Und bezieht sich Untreue ausschließlich auf eine sexuelle Beziehung, oder hat eine Liebesaffäre im Grunde nichts mit Sex als solchem zu tun? Vollzieht sich der Betrug denn nicht auf der Gefühlsebene?
    Die Grenzen von Gut und Böse erforschend, zieht Paula ihre letzte Chance, unschuldig zu bleiben, in Erwägung: die Möglichkeit, ihre neue Freundschaft beizubehalten, aber sie offen zuzugeben. Sie könnte Harry in ihr Leben eingliedern, ihn George vorstellen, dem Geheimnis ein Ende bereiten, der Frage sexueller Untreue damit ganz aus dem Weg gehen. Sie wird das Vergnügen dieser Freundschaft haben, aber ohne den Sex. Sie wird brav bleiben.

Die Stimme der Anpassung

    Schließlich ist sie nicht unglücklich in ihrer Ehe, erinnert sie sich, erleichtert über ihren Beschluß.
    Aber warum fühlt sie sich dann so getrieben, sich außerhalb umzutun? Warum kann sie nicht einfach zu George sagen: Hör mal, so funktioniert das nicht!
    Weil es eben doch funktioniert, antwortet sie sich selbst. Sie hat eine gute Ehe.
    Aber was bist du dann gerade im Begriff zu tun? mischt sich diese strenge, aufgeregte leise Stimme ein.
    Und ihre einzige Antwort lautet: Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.
    Warum würdest du alles riskieren? insistiert sie.
    Weil ich etwas haben muß, das ich hier nicht finde, ein Strauß von Gefühlen, auf die ich verzichtet habe; weil ich stumm und starr geworden bin, weil mein wahres Selbst irgendwo anders lebt, oben in einem Turm. Das ist nicht Georges Schuld. Wenn ich ihm aber offenbaren würde, wie ich mich fühle, würde er mich nicht verstehen. Er würde mir vielleicht raten, meinen Job zu wechseln, ich sollte mir mehr Bewegung verschaffen, ich sollte mich nach Hilfe umsehen. Vielleicht sollte ich mir wirklich einen anderen Job suchen. Und mehr Bewegung wäre in jedem Fall gut. Aber wer kann mir helfen? Und wobei soll man mir helfen? George würde mich sicher fragen, warum ich davon rede, in einem Turm zu leben...
    Und was würdest du dann sagen?
    Dann würde ich sagen... — ach, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!
    Kaum imstande, ihre Gefühle in Worte zu fassen, geschweige denn, sie laut auszusprechen, empfindet Paula nur, daß alles ihre Schuld ist, nicht die ihres Mannes, daß das Verlangen sie überfällt wie ein Virus.
    Sag es ihm! Sprich mit George!
    Sag ihm was? Sprich worüber?
    Sie weiß, sie müßte in einer anderen Sprache mit George reden als der, die sie bisher miteinander sprechen. Er würde versuchen, in der Sprache von Sollen und Müssen zu reagieren. Paula

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