Die heimliche Lust
Einstellung nicht wirklich meine eigene, als hätte ich sie nur übernommen, und nun mußte ich sie verteidigen. Ich fühlte mich heuchlerisch. Wie eine Frau, die vernünftige Schuhe trägt, aber ständig mit den hohen Absätzen in den Schaufenstern liebäugelt. Ihr Mann kann sich auf sie verlassen und respektiert sie, aber er hat keine große Lust, mit ihr zu schlafen. Die Leute bezeichnen sie als einen »wertvollen« Menschen, weil sie so verdammt asexuell ist, die erwachsene Version des Schulmädchens mit der sympathischen Persönlichkeit, dieser Euphemismus für ein Mauerblümchen mit moralischen Ansprüchen und vernünftigen Schuhen. Ich war diese Frau, und ich wußte nicht recht, wie ich so geworden war.
Die dreißigjährige Maria hatte dasselbe Gefühl von »Heuchelei«:
Da war doch tatsächlich derselbe Zwiespalt in mir, den ich nicht mehr empfunden hatte, seit ich in der neunten Klasse in Tommy Thomasson verliebt war. Ich erinnerte mich vage, daß es mir danach sehr gut getan hatte, das brave Mädchen durch mein schlimmes Selbst zu ersetzen, so konfliktbeladen das auch war. Ich hatte mich danach viel , viel besser gefühlt. Wahrscheinlich würde es mir auch diesmal guttun.
Die neununddreißigjährige Alexandra:
Es war so sonderbar, so keusch zu sein. Ich war Ende der sechziger Jahre aufgewachsen, wir waren die Generation der sexuellen Revolution. Und ich mag Sex. Alle nahmen an, daß ich jede Menge Sex hatte, aber bei meinem Mann und mir war das nicht der Fall.
Ärger im Haus
Verzweifelt bemüht, an einem Ideal von Angepaßtheit — und damit von Sicherheit und Geborgenheit — festzuhalten, dabei aber voll Sehnsucht, auszubrechen, stellen sich all diese Frauen am Ende dieselbe Frage: Kann ich Donna Reed töten und ruhigen Blutes weiterleben?
Ein Autor des 19. Jahrhunderts, Coventry Patmore, hat eine Romanfigur geschaffen, die er den »Engel im Hause« nannte. Für Virginia Woolf war dies die Verkörperung der vorbildlichen Frau. Woolf schrieb über ihren Entschluß, diese sie bis dahin verfolgende Ideal-Figur zu vernichten — und wir werden ihre Mordlust nachempfinden können, denn der »Engel im Flause« trägt viele Züge seiner Nachfolgerin Donna Reed:
Sie war voll Mitgefühl. Sie war ungeheuer charmant. Sie war äußerst selbstlos. Sie brillierte in den schwierigen Künsten des Familienlebens. Sie opferte sich täglich auf. Wenn es Huhn gab — sie nahm nur das Beinchen; wenn es irgendwo zog — sie saß mittendrin: kurz, sie war so beschaffen, daß sie niemals einen eigenen Wunsch oder Willen hatte, sondern es vorzog, stets mit dem Wunsch und Willen anderer zu sympathisieren... Ich stürzte mich auf sie und packte sie an der Kehle. Ich tat mein Bestes, sie umzubringen. Meine Entschuldigung, wenn man mich vor Gericht stellte, würde lauten, daß ich in Notwehr gehandelt hatte. Hätte ich sie nicht getötet, dann hätte sie mich umgebracht.
Woolf machte dem Engel den Garaus und konnte der allgemeinen Mißbilligung sicher sein. Paula wird es da in ihrer Rolle der Mörderin schon ein bißchen leichter haben. Was Paula zu Hilfe kommt, ist eine neue Ikone, ein moderneres Bild der Ehefrau, ein Ideal, ganz anders als Donna Reed, von deren Geschichte sich Paula durchaus angezogen fühlt. Ein Produkt des Feminismus und der Protest-Bewegung der sechziger Jahre, ist diese neue Frau weder auf Männer noch auf die Ehe fixiert; sie strebt vielmehr ihre eigene persönliche Entwicklung an. Ihr Ziel ist Selbstentdeckung, Selbstv erwirklichung und Selbsterfüllung. Noch ist sie längst nicht so tief im Unbewußten der Frauen verank ert wie Donna Reed, dieses Modell der Weiblichkeit, das weder von Männern definiert wurde noch ausschließlich durch den patriarchalen Blick bewertet wird. Diese Frau läßt sich nicht auf das konventionelle, romantische Märchen ein, sondern geht ihren eigenen Weg der Kreativität und Selbstentfaltung. Annette Lawson beschreibt ihn als die Forderung an jeden Menschen, »den Verlust sicherer und bekannter Positionen um neuer und aufregender Herausforderung willen zu riskieren«, und »den Gipfel der Selbstverwirklichung — Reife — zu erklimmen«. Es ist ein Weg der Selbsterkenntnis, der von denen, die ihn beschreiten, verlangt, »alle Facetten ihrer selbst, einschließlich ihrer Sexualität, zu erforschen«.
Theoretisch kann dieser neue Weg des Abenteuers und der Selbstverwirklichung gut neben dem alten bestehen: Das Streben nach eigener Entwicklung muß nicht mit dem Streben
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