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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalma Heyn
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Ihre Gefühle falsch oder unanständig oder absonderlich oder was auch immer seien — was würde geschehen? Was wäre, wenn ich sogar sagte: >Das taugt nichts! Sie haben etwas Wertvolles mitten in Ihrer eigenen Küche. Los jetzt, junge Dame! Sie gehen sofort nach Hause zurück !< - Was würden Sie dann empfinden?«
    »Daß Sie nichts verstanden haben .«
    »Und dann würden Sie sich hoffnungslos mißverstanden fühlen ?«
    »Ja.«
    »Aber dann könnten Sie es mir doch erklären, oder? >Das ist das Gefühl, das mir so wichtig ist<, oder >das ist der Grund, warum Sie mich vielleicht für verrückt halten, ich aber weiß, daß es nicht so ist< .«
    »Ich weiß nicht, ob ich Sie überzeugen könnte. Ich weiß es selbst nicht genau .«
    »Aber Sie wissen es doch! Sie haben diese lange Fahrt gemacht, um es mir zu sagen! Ist es, daß Ihre Liebe ohne irgendeine offizielle Bestätigung nicht wirklich ist ?«
    »Nein. Eher, daß ich befürchte, sie könnte mir weggenommen werden. Dieses ganze Erlebnis könnte mir weggenommen werden .«
    »So daß Ihnen in gewisser Weise ohne mein Verständnis oder meine Billigung Ihrer Geschichte oder Ihrer Person überhaupt nichts bleiben würde ?«
    »Nichts als eine dumme Wahl und Gefühle, die keinen Sinn ergeben, zusammengenommen ein riesiger Fehler .«
    »Ja. Dabei haben Sie doch versucht, mir klarzumachen, wie klug Ihre Wahl war, wie sinnvoll Ihnen Ihre Gefühle erschienen sind. Und doch könnte ich sie einfach auslöschen ?«
    »Ja.«

    Die Bedenken der Frauen, daß ihre Gefühle untergraben, ihre Erfahrungen entwertet und ihre Beziehungen verurteilt werden könnten, hingen untrennbar mit unserer gerade dann erfolgenden Erörterung ihrer sexuellen Gefühle zusammen — Gefühle, die, wie sie bekanntlich vor langer Zeit gelernt hatten, verboten und unaussprechlich waren. Sie betraten erneut dieses halb vergessene, halb vertraute sexuelle Terrain, wo Leidenschaft und Strafe unauflöslich miteinander verwoben sind, wo Frauen wissen, daß sie, um nicht völlig in Mißkredit zu geraten, ihre wahren Gefühle, Beobachtungen, Kenntnisse, Erfahrungen und Verhaltensweisen verschleiern und durch »anständigere« und akzeptablere ersetzen müssen. Diese Frauen wurden angesichts dieser Hürde so zuverlässig zum Schweigen gebracht, als wären sie sechzehn Jahre alt und müßten ihrem Vater die Wonnen beschreiben, die sie soeben auf den Hintersitzen eines Kabrios erlebt hatten.
    Was anfangs als Artikulationsschwierigkeit erschien — dieses Zögern, über erotische Gefühle zu sprechen — , erwies sich bald als ein komplexeres Problem. Die Frauen standen mitten im Gespräch mit mir vor demselben zentralen Dilemma, das sie schon in ihrer Jugend und auch in der Ehe erlebt hatten: wie ein Mädchen bzw. eine Frau ehrlich über ihre tiefsten Gefühle sprechen kann, ohne unanständig genannt zu werden, wie sie sagen kann, was sie sich wünscht, ohne daß ihr Begehren »verwerflich« erscheint; wie sie über Sex sprechen kann, ohne mir zu mißfallen und irgendwie bestraft zu werden. Würde ich ihr glauben? Würde ich mich über sie lustig machen? Würde ich das Vergnügen des Erlebnisses aushöhlen, das sie mir zu vermitteln versuchten?
    Natürlich gerieten diese Frauen in die Klemme, als sie die Männer zu beschreiben versuchten, mit denen sie schliefen, und den Genuß, den sie dabei empfanden! Diese Beziehungen, diese Männer, diese Gefühle waren ausdrücklich und entschieden tabu. Und so wurde erneut klar, daß Ehebruch gleichsam unaussprechlich ist. Das Unaussprechliche auszusprechen war in der Tat sehr gefährlich.
    Erst als ich meine Position als allmächtige Schiedsrichterin spöttisch in Frage stellte — über meine Macht scherzte, ihre Gefühle zu bestätigen oder zu verwerfen — , begannen wir, gemeinsam zu verstehen, über wessen Rolle wir uns da lustig machten, wessen dröhnende Stimme genügend moralische Autorität hatte, um ihre eigene zum Schweigen zu bringen. Sie mußten wissen, daß diese Rolle, diese Stimme in der Tat existieren: Das eine ist die Verkörperung der Gesellschaft, das andere die Stimme des Patriarchats, und beide haben alle Frauen irgendwann sowohl stumm als auch dumm zu machen gesucht. Aber das war nicht meine Rolle oder Stimme. Sie mußten auch begreifen, daß sich andere Frauen in genau dem gleichen Augenblick genauso fühlten wie sie. Erst dann konnten wir fortfahren, über Liebe zu sprechen, denn erst dann konnten sie die Worte »Lust« und »Sex« ohne Hemmungen

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