Die heimliche Päpstin
Zinsen zurück, Künstler verschönerten den Palast auf dem Aventin, Marozias sowie Theodoras Kinder wuchsen gesund heran – und dennoch: Trotz Einfluß, Ansehen und Glanz alterte Theophylactus rasch und unaufhaltsam, wurde von häufigen Fieberschüben geschwächt und verfiel zusehends.
Fünf Jahre nach der siegreichen Schlacht feierte er noch seinen fünfundfünfzigsten Geburtstag, mit grauer Mähne und gebeugt wie ein uralter Greis in einem ausgepolsterten Holzsessel sitzend. Seine zitternden Hände lagen, von blauen Adern durchzogen, schmucklos auf der Armlehne, während seine Freunde aus alten Tagen und die Prälaten der Kurie in einer langen, stummen Reihe an ihm vorbeizogen und ihm noch zahlreiche Jahre in Gesundheit und wiedergewonnener Stärke wünschten. Mir fiel auf, daß er nicht einmal mehr einen Siegelring trug.
Wenige Tage später diktierte er mir im Beisein eines herbeigerufenen notarius palatini seinen letzten Willen: Mit brüchiger Stimme sprach er lange vom Seelenheil und betonte, er wolle in der Gruft des Hauses bestattet werden, in einem Porphyrsarg, der umgehend besorgt oder hergestellt werden müsse; er ließ festhalten, daß nach seinem Ableben die Klöster Roms sowie der Campania, insbesondere das Kloster Farfa, mit reichen Stiftungen zu bedenken seien. Hundert Jahre lang sollten täglich Fürbitten für sein Seelenheil gelesen werden.
»Unser Herr braucht nicht so lange, bis er dir deine Sünden erläßt«, bemerkte der notarius . »Zehn Jahre dürften genügen.«
Theophylactus' Hände zitterten verstärkt, während sein trüber Blick über den Prälaten glitt.
Weder Marozia noch die Kinder waren anwesend.
Schließlich sollte ich Alberich rufen; ihm wurde das Versprechen abgenommen, immer in Treue zu Marozia, Theodora, den Kindern und der ganzen familia zu stehen.
»Schwöre auf die Worte der Apostel!« stieß Theophylactus schwach hervor.
Alberich runzelte die Stirn. »Du weißt, daß dies nicht nötig ist, ich heiße weder Berengar noch Sergius – aber wenn du darauf bestehst.«
Der notarius hielt ihm die Heilige Schrift hin.
»Du wirst wieder gesund, Phyli!«, rief er und quetschte ein Lachen hervor. Dann legte er seine Hand auf die Bibel und schwor.
»Soll ich die Kinder rufen?« fragte ich.
Theophylactus schüttelte den Kopf, bat jedoch Theodora zu sich.
Nachdem wir alle unterschrieben hatten, ließen wir das Ehepaar allein.
Sein Tod folgte bald. Eines Morgens hörte ich, er sei friedlich eingeschlafen. Theodora wirkte gefaßt, Marozia, die während der letzten Nacht mit ihrer Mutter und Schwester an der Seite ihres Vaters gewacht hatte, blieb stumm und in sich gekehrt. Am meisten trauerte Alberich, wie ich erstaunt feststellte: Zum ersten Mal in seinem Leben sah ich Tränen in seinen Augen, als Theophylactus im Beisein des Heiligen Vaters in den gewünschten Porphyrsarkophag gebettet wurde. Während der Heilige Vater leere Worte des Trosts sprach, leuchtete das Kreuz des Belisar über uns im matten Schimmer seines Golds.
Nach der Beisetzung blieben Theodora und Marozia als letzte bei dem Dahingeschiedenen. Ich wollte sie allein lassen, doch Theodora winkte mir zu bleiben. Marozia warf einen Blick auf ihre Mutter, der ausdrückte, sie wolle allein mit ihrem Vater sein. Ihre Mutter verstand sie genau, richtete sich auf und wollte ihrer Empörung Ausdruck geben. Doch als sie die Augen ihrer Tochter sah, zuckte sie regelrecht zurück.
Beide versanken sie ins Gebet. Es war wie ein stummer Kampf um das letzte Wort des Verstorbenen. Auch ich beugte meinen Kopf über die gefalteten Hände.
In die Stille hinein flüsterte Theodora: »Es ist das goldene Kreuz! Das Kreuz des Belisar! Es hängt wie ein Fluch über uns.«
Erneut Stille, dann die Stimme Marozias, leise, doch deutlich vernehmbar: »Ohne Gold kein Segen. Das müßtest du am besten wissen.«
Nach Tod und Beisetzung des Theophylactus war Theodora nicht mehr dieselbe. Noch so viele Salben und Puder konnten die strengen Falten nicht überdecken, und ihre Mundwinkel zeugten von Bitterkeit und Gram. Ihre ägyptische Schönheit war zu einer Maske erstarrt, aus der das Lebendige geschwunden war. Womöglich fraß eine Krankheit sie von innen auf, zudem fühlte sie sich allein gelassen, ihres Einflusses beraubt, ihrer Wirkung auf Männer, insbesondere auf den einen, den sie nicht nachgelassen hatte zu lieben.
Eines Herbsttages im Jahr 920 rief sie mich zu sich in den weitläufigen Palast auf dem Aventin, der in einer
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