Die heimliche Päpstin
Zuerst zitterte ich vor Angst und Scham, doch dann bemerkte ich, daß es dafür keinen Anlaß gab. Meine Mutter streichelte mich, und als sie ihre Hand auf meine Augen legte und mir zuflüsterte, wie schön dies alles sei, löste Johannes sie ab.«
Marozia hatte die Augen geschlossen und lag wieder in den Armen der Liebenden, als müsse sie ein letztes Mal in ihrem Leben die Wärme körperlicher Nähe spüren.
Nachdem ich dies niedergeschrieben hatte, starrte ich auf das Pergament mit seinen sanft geformten Buchstaben. Ich sehe die Leiber vor mir, als hätte ich auf ihre Haut geschrieben. Vielleicht begreife ich in diesem Augenblick einen Teil von Marozias Wesen, den Teil, der mir so fremd geblieben ist, obwohl ich mich nach ihm sehnte, weil er in mir zerstört worden war. Gibt es Momente ohne Sprache, Momente der Vereinigung, Augenblicke der Glückseligkeit, in denen alles Trennende, alles Fragwürdige in einem stummen Rausch, im stillgestellten Tanz, im bewegungslosen Taumel untergeht und eine mögliche Einheit, wenn auch nur für kurze Zeit, erkannt wird? In denen wir uns angenommen fühlen und erlöst?
Womöglich hat Marozia diese Momente immer wieder gesucht. Ihr Fehler war, daß sie zugleich nach Einfluß, Macht und Triumph strebte, um die Einheit auch im Rausch des Herrschens zu erleben.
Marozia lag noch immer in den Armen eines Mannes, als sie weitersprach, leise, sanft, wie zu sich selbst: »Johannes zeigte sich eine Weile zurückhaltend und spröde, doch je länger wir sprachen, auch über unsere erste Begegnung im Bett meiner Mutter, desto offener wurde er, wehmütiger, verlorener an ehemals erfülltes Glück, und er verriet mir, daß er schon immer Kinder geliebt habe. Ich begriff nicht die Tragweite seiner Worte, ich wollte nicht wie ein Kind, sondern wie eine Frau geliebt werden, setzte mich schließlich auf seinen Schoß, und er streichelte mich. Vielleicht wäre er bereit gewesen, sich mit mir zu vereinigen – wenn nicht dieser schreckliche Geruch gewesen wäre. Er stank nach meiner Mutter, und weil sich mir dieser Gestank so aufdrängte, je näher ich ihm kam, verfolgte mich zugleich der Gedanke, meine Mutter könnte hinter einem Vorhang stehen und uns zuschauen, sich vielleicht sogar zwischen uns drängen. Auch wenn sie nicht auftauchte, so spürten wir beide ihre Nähe.
Johannes und ich trennten uns, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, als müßten wir unsere Annäherung hinter einer Barriere aus Scham verbergen. Fluchtartig verließ er meine Gemächer und unseren Palast, und es war mir, als hörte ich meine Mutter höhnisch lachen. Damals beschloß ich, nicht mehr länger mit ihr unter einem Dach zu wohnen.
Sie schien meinen entschlossenen Willen zu spüren, denn am nächsten Tag brach sie einen Streit vom Zaun, bei dem sie mir vorwarf, nur an ihrem Gold interessiert zu sein und sie, wenn ich es in meinen Händen hielte, ermorden zu wollen. Dabei war ich in diesem Moment am wenigsten an Gold interessiert. Sie aber rauschte hinab zur Gruft unseres Vaters, fiel vor dem Kreuz des Belisar auf die Knie und verfluchte mich – und was dann folgte, weißt du.«
Was dann folgte, war ein düsteres Kapitel, die Stunde einer Wahrheit, die nie hätte ausgesprochen werden dürfen. Theodora blieb nicht länger im Palast auf dem Aventin, zu dem die hundert Goldstücke aus dem Schatz ihrer Eltern den Grundstock gelegt hatten. Ich hatte versucht, sie zum Bleiben zu bewegen, aber es war hoffnungslos. Ich bot ihr sogar an, sie zu begleiten oder abwechselnd bei ihr und Marozia zu wohnen: Sie lehnte ab.
»Meine Tage sind gezählt«, sagte sie dumpf. »Ich werde endlich zurückkehren in meine Heimat und meine Eltern wiedersehen.«
Mir schwante nichts Gutes; umso weniger wollte ich sie alleine lassen, und ich glaube, sie verstand meine Geste.
»Laß mich wenigstens während der ersten Wochen in der Via Lata bei dir sein – bis alles geregelt ist.«
»Ich sprach bereits mit Crescentius. Er hat mir meine alten Gemächer freiräumen lassen. Meine Tochter Theodora beschwört mich, zu ihnen zu ziehen, auch meine Enkelinnen …«
Tränen traten in ihre Augen, und als Theodora sie mit einer fahrigen Bewegung wegwischen wollte, verschmierte sie die schwarzen Striche um ihre Augen, was sie noch düsterer aussehen ließ. Sie nahm schließlich meine Hände und drückte sie an ihre Brust: »Ich wünsche dir, daß du deinen Sohn Alexandros wiedersehen darfst. Jetzt erst begreife ich, daß ich einen unverzeihlichen
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