Die heimliche Päpstin
folgten unseren Zeichen und dem Faden, nicht ganz ohne Furcht, irgend jemand, ein Tier womöglich oder ein verirrter Grabräuber oder sogar Theodora selbst könnte ihn abgerissen haben, damit wir uns in der Tiefe verirrten und der Weg zu Licht und Leben für immer versperrt bliebe.
Längst hatte ich aufgegeben, nach ihr zu rufen. Sie war in dieses Labyrinth hinabgestiegen, um zu sterben, und sie hatte das Geheimnis des Goldes mit sich genommen.
Als wir endlich wieder das Kellergewölbe der Via Lata erreichten, empfing uns Theodoras Familie.
Auf ihre erwartungsvoll-bohrenden Blicke hin schüttelte ich nur den Kopf.
»Du hast sie wirklich nicht gefunden?« fragte Alberich.
Die junge Theodora weinte.
Crescentius verließ den Kellerraum und sprach zu den Dienern und Schreibern: Keiner dürfe von dem Verschwinden der Herrin und dem Zugang zu den unterirdischen Gängen berichten. Wer dennoch rede, würde strengstens bestraft.
Alberich schaute sich ratlos um.
Marozia wirkte wie betäubt. Sie tastete die Fässer und Amphoren ab, als könnten sie sich plötzlich öffnen und den Blick freigeben auf ihre verschwundene Mutter, schob sich dann vorsichtig einige Schritte in den Gang, schrie in einer Mischung aus Verzweiflung und Wut nach ihrer Mutter.
Niemand antwortete.
Bleich kam sie zurück, mit einem kranken, auf mich gerichteten Blick. »Weißt du, warum sie das getan hat?«
Auf diese Frage brauchte ich nichts zu erwidern.
Marozia gab sich selbst eine Antwort: »Sie wollte sich an mir rächen. Aber ich brauche ihr Gold nicht.«
Alberich, der nicht zugehört hatte, verkündete: »Wir werden ganz schnell einen Sarg zimmern lassen müssen und diesen Sarg dann in den Sarkophag stellen, wenn wir sie neben Theophylactus in der Gruft beisetzen. Aufbahren können wir sie ja nicht, dafür müssen wir uns eine Ausrede ausdenken. Niemand darf wissen, daß der Sarg leer ist, nicht einmal der Heilige Vater, der ihr eine würdige Totenmesse lesen soll.«
Crescentius hatte sich wieder zu uns gesellt und nickte. »Kein Aufsehen, keine Unruhe, sonst werden zu viele Fragen gestellt, und die Suche nach dem Gold beginnt von neuem.«
»Ich will nicht, daß ihr Sarkophag unter unserem Palast steht«, sagte Marozia ohne Nachdruck.
»Sie liegt ja nicht drin«, entgegnete Alberich ungeduldig, und Marozia schwieg.
Mich stellte die Art, wie die Schwiegersöhne Theodoras Verschwinden achselzuckend hinnahmen, keineswegs zufrieden. »Sollen wir nicht mit einer größeren Anzahl zuverlässiger Männer nach ihr suchen?« fragte ich daher. »Sie muß doch irgendwo sein.«
Meine Augen füllten sich mit Tränen, und auch Marozias Mundwinkel zuckten. »Sie will nicht gefunden werden«, stieß sie in letzter Beherrschung aus. »Sonst hätte sie sich nicht … so verkrochen. Es war ihr letzter Wille.«
»Du hast recht«, sagte ich mit brechender Stimme. »Dennoch!«
Theodora hatte sich zum Sterben in die Höhle begeben, in der sie gerettet und wiedergeboren worden war. Sie hat freiwillig den Weg in die Unterwelt angetreten, das Gold ihrer Eltern mit sich genommen – um den Fährmann zu bezahlen, der sie hinüberrudern würde über den Fluß, der diese von jener Welt trennte.
Es war seltsam, aber während um mich herum Trauer und zugleich verärgerte Ratlosigkeit herrschten, drängten sich mir Vorstellungen von Tod und Jenseits auf, die mich in meiner Kindheit beschäftigt hatten. Ich fragte mich tatsächlich, ob Theodora auf der Asphodelenwiese ihrem verstorbenen Gemahl Theophylactus und ihren Eltern begegnen würde, um mit ihnen im ständig wiederkehrenden Austausch der Erfahrungen die Triumphe und Qualen ihrer Lebenswege zu wiederholen, im Bewußtsein, nie mehr etwas daran ändern zu können? Oder würde sie lieber Wasser aus dem Fluß des Vergessens trinken, weil sie die Langeweile der Leere der Qual des Erinnerns vorzog?
Noch heute – oder heute mehr denn je? – beschäftigen mich die Gedanken an das Jenseits, und ich weiß nicht, was ich glauben soll. Lösen wir uns in Körper- und Seelenatome auf, verschwinden wir spurenlos, um in anderer Gestalt wieder aufzuerstehen, als Fels, Baum, Wolke oder Königin? Folgen wir diesen Gedanken Epikurs, dann braucht uns die Angst vor Fegefeuer und ewiger Verdammnis in der Hölle nicht zu quälen, dann brauchen wir aber auch nicht auf das ewige Leben in einem Himmelselysium zu hoffen, auf Ausgleich und Gerechtigkeit im Jenseits.
Bereits diese Gedanken zu denken bereitet Unbehagen, denn sind
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