Die heimliche Päpstin
ergraut, sondern bereits weiß, darüber hinaus fast blind und zittrig.
Begeisterung herrschte in Rom nicht, weder im Volk noch im Adel und schon gar nicht in der Kurie, aber Widos Heer durfte nicht unbeachtet bleiben. Ein nicht unerheblicher Teil hatte die Neronischen Felder verlassen und sich in der Stadt selbst einquartiert, allerdings unauffällig und unter Einhaltung ziviler Gepflogenheiten. Viele Soldaten wohnten bei jungen, freizügigen Frauen, die auf diese Weise Schutz genossen.
Johannes, der aufgefordert wurde, als Papst zurückzutreten, zeigte sich störrisch. Er sei der Nachfolger des Apostelfürsten Petrus und allein dem höchsten Richter und unserem Herrn Jesus Christus zu Gehorsam verpflichtet. Seine unbeugsame Haltung sprach sich rasch herum. Wie es dazu kam, daß gerade die Bevölkerung von Veroli die Festung stürmte, in der er eingesperrt war, entzieht sich meiner Kenntnis. Es hieß, er habe der Bevölkerung, die ihn seit dem Sieg über die Sarazenen ohnehin verehre, Sündenerlaß und den direkten Weg ins Himmelreich versprochen.
Wido tobte, als er von der Befreiung des Papstes hörte. Er schickte unverzüglich eine starke Truppe nach Veroli und einen Eilboten zu seinem Bruder Lambert, der Johannes bei einem möglichen Fluchtversuch in seine Heimat Romania abfangen sollte. Unter keinen Umständen dürfe Johannes Schutz bei König Hugo finden.
Der Papst schien jedoch überzeugt, daß das Volk Roms und die Kurie sich erheben würden, um ihm den Stuhl Petri zu sichern. Vielleicht waren es auch andere Gründe, die ihn veranlaßten, direkt nach Rom zu eilen. Vor den Mauern der Stadt jedoch fiel er Widos Häschern in die Hände, die ihn ohne zu zögern in die Engelsburg sperrten.
60
Wir schrieben das Jahr des Herrn 929. Es war Sommer, und feuchte Hitze brütete über der Stadt, brachte zahlreiche Gewitter und immer wieder kleinere Überschwemmungen des Tiber. Die Stechmücken hatten sich stark vermehrt und fielen insbesondere in den Abendstunden über die Menschen der unteren Stadtviertel her. Es galt als ausgemacht, daß diese Plage Gottes die Strafe für die Entführung des Heiligen Vaters sei.
Wido kümmerte sich jedoch weder um Stechmücken noch um die Stimme des Volkes, die er ohnehin der Stimme des Rindviehs gleichsetzte, und verkündete, wenn Papst Johannes nicht von alleine seinen Weg in die Hölle antrete, werde er ein wenig nachhelfen.
Marozia hatte verwirrt auf die Gefangennahme des Papstes reagiert. Es war sogar zu einem Streit zwischen den Ehepartnern gekommen, bei dem Wido seiner Gemahlin erneut politische Naivität vorwarf. »Warum zog Johannes wohl nach Norden? Er plante, sich mit Hugo zu treffen und ihn nach Rom zu locken. Und was sollte Hugo in Rom? Uns kaltstellen und zum Kaiser gewählt werden! Ich habe dich schon lange gewarnt.«
Marozia schwieg nachdenklich, erwiderte dann: »Trotzdem. Wir machen uns Feinde.«
»Feinde haben wir genug. Johannes gehört zu ihnen. Sie lassen uns nur am Leben, wenn wir ihnen die Faust zeigen. Entweder sie oder wir.«
Noch immer war sie nicht überzeugt. »Dann laß mich wenigstens mit ihm reden. Ich will ihn überzeugen, freiwillig zurückzutreten und in ein Kloster zu gehen.«
Wido knurrte unwirsch, ließ sie jedoch gewähren.
Marozia forderte mich auf, sie zu begleiten. Ich war weder versessen auf das Gespräch noch gar auf den Abstieg in die Verliese der Engelsburg, verstand gleichwohl, daß Marozia einen unbestechlichen Zeugen dabeihaben wollte. Außerdem war auch ich daran interessiert, Wido von dem Mord an Papst Johannes abzuhalten.
Die tuszischen Wachen ließen uns in die Gewölbe des kaiserlichen Grabmals eintreten und führten uns in düstere, feuchte und stinkende Gänge, an Verliesen vorbei, in denen, wie mir ein neugieriger Blick verriet, noch Skelette lagen, von Ratten säuberlich abgenagt. Am Ende eines Ganges hielten wir vor einer eisenbeschlagenen Tür: Ein Schloß knirschte, Ketten rasselten, krachend wurde ein Riegel zurückgeschoben, und die schwere Tür stöhnte in ihren Angeln. Wir traten in den Kerker, in dem ein alter Mann kauerte, unrasiert und mit filzigen Haaren: Papst Johannes X. Neben ihm stand ein geleerter Becher. Müde öffnete er die stumpfen Augen und bat um Wasser. Als die Wachen eine Fackel neben dem Türrahmen befestigt hatten und wir uns ihm vorsichtig näherten, fielen uns mehrere Schürfwunden und dunkle Flecken auf. Sein Gesicht war eingefallen und grau, die verdreckten Kleiderfetzen schlotterten um
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