Die heimliche Päpstin
seine Glieder.
Ich betrachtete, kaum hatten die Wachen den Raum verlassen, eingehend die schwarzschimmligen Wände – und noch heute erfaßt mich ein Schauer, wenn ich an sie denke, denn es waren die Wände, die auch uns später einschlossen und Marozia weiterhin gefangenhalten.
»Ich möchte Euch retten, Heiliger Vater«, sagte sie mit eindringlicher Stimme.
Papst Johannes ließ seinen gebrochenen Blick über sie gleiten. »Ich erinnere mich an dich, mein Kind, und an deine Mutter, die ich liebte.«
Ich empfand mich als störend und schob mich langsam zur Tür zurück, während Marozia sich Papst Johannes näherte.
»Um meiner Mutter und eurer gemeinsamen Liebe willen: Verzichtet auf Euer Amt, Heiliger Vater, und versprecht, Euch in ein Kloster zurückzuziehen! Dann werde ich Euer Leben retten können.«
»Gott hat mich auf den Stuhl Petri berufen, dort werde ich sterben.« Seine Stimme war ein müdes Krächzen.
»Du wirst im Kerker sterben, Johannes«, rief Marozia erregt. »Und nicht Gott hat dich berufen, sondern meine Mutter!«
Sein Blick ließ sie verstummen. Nach einer Weile flüsterte sie: »Verzeiht. Gott hat Euch durch meine Mutter berufen lassen – wir waren alle glücklich darüber.« Da Papst Johannes nicht antwortete, sie nur anschaute, fuhr sie fort, lauter, drängender und zugleich bedrängter: »Warum mußte alles so kommen? Du weißt doch, daß wir dich liebten – ja, auch ich, ich verehrte dich, du hast mir zum ersten Mal gezeigt …« Unsicher schaute sie sich nach der Tür um und verstummte kurz. »Für mich warst du wie ein Vater. Als aber dann dieser Pietro auftauchte – er hat dich uns entfremdet und wollte uns entmachten, er war unser Feind, obwohl wir ihm nichts getan hatten. Er hat uns deine Liebe gestohlen.«
Der Papst lachte fast unhörbar auf, antwortete noch immer nicht.
»Er war gar nicht dein Bruder.« Ich merkte, wie sich Ärger in Marozias Stimme schlich. »Er war dein … Liebhaber.«
Erneut lachte der Papst auf, diesmal wie über eine kindische Dummheit. »Mein Liebhaber«, wiederholte er und lächelte. »Du hast recht, mein Bruder war er nicht, und ich liebte ihn – er war mein Sohn.«
Marozia zuckte ungläubig zusammen. »Dein Sohn?« Es dauerte eine Weile, bis sie sich gefangen hatte. »Und warum wußten wir nichts von ihm?«
»Glaubst du, deine Mutter wäre erfreut über ihn gewesen?«
»Meine Mutter besaß ein großes Herz.«
Er nickte. »Ja, ein großes, forderndes Herz.«
Marozia warf mir einen Blick zu, als müsse sie sich vergewissern, daß alles real sei, was sie erlebe. Ich nickte nur.
Sie ergriff die Hand des alten Mannes. »Ich habe dir unrecht getan, dich verdächtigt …«
»Ach, Kind, es gibt Schlimmeres. Wenn du kurz vor Gottes Richterstuhl stehst, fallen die kleinen Verfehlungen von dir ab. Zurück bleiben die großen, schweren, die unverzeihlichen, sie werden reichen, mich bis zum Jüngsten Tag in der Hölle schmoren zu lassen.«
»Aber wenn du auf dein Papstamt verzichtest und dich … ja, nach Cluny zurückziehst, zu Abt Odo, mit dem du korrespondierst, wie ich von Giovanni weiß – Cluny wäre der richtige Ort: Du könntest büßen und Gott um Verzeihung bitten …«
Sein Blick verriet, daß all ihre Bitten und Bemühungen vergeblich waren.
Papst Johannes wollte sterben.
»Glaubst du etwa«, fragte Marozia nach einer langen Pause, »daß ein gewaltsamer Tod dir den Weg ins Himmelreich öffnen wird? Willst du ein Märtyrer werden?«
»Nein, meine Tochter, aber er wird mein Leiden hienieden verkürzen. Ich esse ohnehin nichts mehr. Seit mein Sohn Pietro sterben mußte, habe ich nur in Buße gelebt – ohne daß mir Gott ein einziges Zeichen gesandt hätte. Auch der barmherzige Heiland wird mich nicht erlösen, zu schwer sind meine Verfehlungen. Es ist zu Ende. Geht in Frieden, meine Töchter, und verzeiht einem alten Mann!«
Ich klopfte an die Tür, um die Wachen zu rufen. Hilflos schauten wir auf Papst Johannes, der regungslos auf dem Boden kauerte.
Marozia berichtete Wido knapp von dem Gespräch und Johannes' Weigerung, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Der Markgraf nickte lediglich, nicht triumphierend, eher traurig, und wir erwähnten den Papst nicht mehr. Wenige Tage später hörten wir, daß er nicht mehr lebe.
»Hast du ihn erwürgen lassen?« fragte Marozia ihren Mann.
Er antwortete nicht.
Die Wahl des von Marozia vorgeschlagenen secundarius notariorum zum neuen Papst war nur noch eine Formsache, nachdem
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