Die heimliche Päpstin
sinnen.
10
Vorerst geschah nichts; nur mein Bauch wuchs. Sergius holte mich nachts nicht mehr in sein Bett. Ich weiß nicht einmal, ob er eine andere Sklavin ausgewählt hatte, eine Kurtisane besuchte, sich gar mit einer hochgeborenen Geliebten vergnügte – oder einfach nur enthaltsam leben wollte.
Ich saß häufig an einem der kleinen Fenster, die auf die Via Lata blickten, und beobachtete das Treiben auf der Straße. Was war Rom für ein Kuh- und Hühnerdorf, verglichen mit Konstantinopel! Die Via Lata entspricht der Mese in meiner Heimatstadt, die breit, kolonnadengesäumt, von weiten Plätzen unterbrochen sich durch die Stadt zieht und nachts sogar beleuchtet ist. Unter den Arkaden bieten Geschäfte feinste Seiden und Duftwässer an, Elfenbeinschnitzereien, Reliquiengefäße, Schmuck, juwelenbestickte Brokatstoffe; dort sieht man Menschen aus aller Herren Länder promenieren und ihre kostbaren Kleider zeigen, man kann den Damen der Adligen und reichen Fernhändler in ihren Sänften begegnen, gelegentlich sogar in Kutschen – meine Mutter hat mich oft mitgenommen, und uns umfing eine bunte, laute, verführerische Welt.
Und hier in Rom? Der Gestank, der hereinweht, ohne daß er durch Kräuterduft gemildert wird, läßt an unsere unterirdischen Abwässerkanäle denken. Dabei soll es hier noch die cloaca maxima geben. Warum stinkt es dann so? Ich sehe verlumpte Pilger, billige Straßenmädchen, die sich in jeden dunklen Eingang schieben lassen, teure Huren, die sich anmalen, als hätte ein Kind in einen Farbtopf gegriffen. Überall picken Hühner im Kot und gockeln ihre Hähne, Schweine werden zur nächsten Schlachtung geführt, Schafherden blöken zur Piazza dei Fiori, selbst die purpurnen Würdenträger müssen hohe Schuhe tragen oder kleine Sprünge vollführen, wollen sie nicht im Unrat versinken. Die Häuserwände sind schwarz vom Schmutz und Rauch der letzten Brandschatzung, die Menschengedenken zurückliegt, deren Spuren aber noch nicht überall beseitigt sind.
Und was die Köchin mir von den Ruinenfeldern beim alten Forum Romanum berichtete, vom Colosseum, dessen Marmor Stück für Stück abgeschlagen wird, von sich weit über den Monte Celius hinziehenden Weinbergen, von Kuhwiesen und Gemüsegärten am Monte Pincius, von bröckelnden Kirchenfassaden … Ja, sie hat selbst erlebt, daß bei dem österlichen Hochamt in der Lateranbasilika ein Teil der Decke herabstürzte und mehrere Menschen tötete. Das Volk habe gebetet, die Erschlagenen hinausgeschleift und ein Unglück herannahen sehen, Papst Stephan jedoch und seine Kardinäle hätten weiter den Weihrauch schwenken lassen. Bisher wäre kein einziger Baumeister oder Handwerker in der Basilika erschienen, die vor oder neben San Pietro das Zentrum der Christenheit sei.
Wenn ich da an die Hagia Sophia denke, an die himmelbildenden Kuppeln, die ehrfurchtsgebietenden Mosaiken, den geheimnisvollen Schimmer des Lichts, das sich in den Weihrauchschwaden bricht, von außen durch die Fenster hereinfließend und von innen verstärkt durch Tausende von Leuchtern – und ich saß eingesperrt an einem winzigen Fenster mit Blick auf eine von Verkaufsbuden verstopfte, stinkende Straße, ohne Buch, ohne Lehrer, ohne Kinder, eine schwangere und zugleich vom Tod bedrohte Sklavin … Nein, ich muß diese düstere Stunde verlassen!
Eines Tages sah ich von meinem Beobachtungsposten aus zuerst Sergius nach Hause kommen, getragen von vier dunkelhäutigen Sänftesklaven, kurz darauf Theodora. Ich glaube sogar, daß sie mich entdeckte, bevor das Portal sich vor ihr öffnete.
Ich wurde zu Sergius in den Empfangssaal gerufen, wo es grabeskalt war, obwohl ein Kaminfeuer vor sich hin rauchte. Theodora, die bei ihm stand, richtete sofort ihren forschenden Blick auf mich, tastete mich regelrecht ab.
»Ich kaufe sie dir ab«, sagte sie zu ihm.
Mir wurde wieder deutlich, daß ich eine Sklavin war, die man verschacherte wie eine Stute. Rasch begriff ich aber, daß dieser Kauf mein Leben und das Leben meines Kindes retten sollte.
»Gesund muß sie sein«, fügte Theodora an.
»Das ist sie! Außerdem habe ich sie seit langem nicht mehr angerührt.«
»Das ist gut! Wieviel willst du für sie haben?«
Sergius gab mir einen Wink zu verschwinden. Ich wollte mich zurückziehen, doch bevor ich ging, zog mich Theodora an sich, als wollte sie mir einen Kuß auf die Stirn geben. Sie roch allerdings nur an mir und strich mir über die Haare. Ich blickte in ihre Augen: Sie waren
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