Die heimliche Päpstin
In unserem neuen Wärter haben sie keinen Freund. Bei seinem ersten Besuch brach er einer besonders fetten mit einem blitzschnellen Tritt das Genick und schob sie dann wortlos mit dem Fuß aus dem Verlies. Anschließend brachte er mir einen Hocker, dazu zwei Böcke mit einer Platte, so daß ich jetzt, fast wie ein Mönch in seinem Scriptorium, vor dem langsam wachsenden Stapel des beschriebenen Pergaments sitze.
Gelegentlich bereiten mir meine Augen Schwierigkeiten: Schreibe ich lange, beginnen sie zu schmerzen, und die Buchstaben verschwimmen. Überhaupt wundere ich mich, daß ich noch so gut sehen kann: Wer so alt wird wie ich, erkennt seine Mitmenschen meist nur schlecht, und lesen gelingt ihm ganz selten, so er es überhaupt gelernt hat.
Marozia, die fast zwei Jahrzehnte jünger ist als ich, sieht ebenfalls recht gut, doch wird sie seit neuestem von Schmerzen im Unterleib heimgesucht, die aus ihr ein zusammengekrümmtes, wimmerndes Bündel machen – was mich sehr beunruhigt. Zumindest ihr Husten mit dem blutigen Auswurf hat sich nicht verschlimmert.
Sie glaubt nicht mehr an eine Befreiung, obwohl sich die Chancen zu vergrößern scheinen. Alberico hat offensichtlich etwas mit uns vor oder will seine Mutter noch intensiver bestrafen – sonst hätte er uns längst verhungern oder vergiften lassen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Das Essen wird immer besser, die Reinlichkeit ebenso, unser neuer Wärter – er heißt im übrigen Anastasius und könnte ein ehemaliger Priester sein, könnte sogar aus dem Osten stammen – behandelt uns mit Freundlichkeit und Ehrerbietung.
Gern bleibt er vor meinem Losungs- und Lieblingswort αταραξία stehen, nickt verständnisvoll, lächelt sogar schmerzhaft, bevor er sich ein letztes Mal in unserer Zelle umschaut, als wollte er den Glanz des blühenden Schimmels prüfen. Unaufgefordert eröffnet er auch kleine Schwätzchen mit uns. Das heißt: mit mir, denn Marozia, obwohl von ihm mit erlauchte Mutter unseres Fürsten oder verehrte Papstmutter angesprochen, reagiert nicht auf seine Erkundigung nach ihrem Befinden.
Gestern sprach er mit sanfter Stimme von dem milden Licht des schönen Herbsttags über dem Tiber und von den kostbaren Kleiderstoffen, welche die byzantinischen Gesandten trügen, die sich in ihrem Hospiz ganz in der Nähe des hadrianischen Grabmals niedergelassen hätten. »Es geht wohl um die Eheanbahnung mit einer kaiserlichen Prinzessin«, fuhr er nach einer bedeutsamen Pause fort. Als wir nicht reagierten, warf er einen begehrlichen Blick auf den Pergamentstapel, den ich zur Sicherheit an mich nahm, wobei ich so tat, als wollte ich ihn ordentlich zusammenlegen.
»Man könnte denken, du schreibst ein ganzes Epos«, sagte er freundlich.
»Willst du mich aushorchen, Anastasius?« erwiderte ich, ebenso freundlich. »Erzähl mir lieber etwas von der byzantinischen Gesandtschaft.«
Mit feinem Lächeln zog er ab.
Marozia hatte sich nicht gerührt und hockte mit gefalteten Händen zusammengekauert auf ihrer Pritsche. Als ich ihr meinen letzten Eintrag vorlesen wollte, in dem die Sprache auf Bischof Johannes kommt, unterbrach sie mich mit einer hektischen Bewegung und erklärte, sie habe genug gehört, an den Rest meiner Geschichte erinnere sie sich selbst. Anschließend betete sie.
Ich weiß natürlich, daß sich meine Erinnerungen nun einer Zeit nähern, die Marozia eine schwere Prüfung auferlegte, ich weiß auch, daß sie auf die Namen Sergius und Johannes mit Abwehr, Haß und schuldbewußter Trauer reagieren wird. Doch angesichts der Lage, in der wir uns befinden, sollte man Frieden mit seiner Vergangenheit schließen und sich auf die ewige Reise vorbereiten. Ändern läßt sich nichts mehr, und ob man durch Beten Buße und Sündenerlaß erlangt, ist ungewiß, obwohl unsere christlichen Priester uns dies weismachen wollen. Wird sich der oberste Richter im Himmel mit bloßen Worten und wohlfeilen Selbstanklagen abspeisen lassen? Wenn er sich überhaupt mit unseren Sünden abgibt, dann werden wir auf seine Gnade hoffen müssen. Ist nicht sein Sohn am Kreuz gestorben, damit wir erlöst werden können?
Marozia sieht dies alles anders. Sie behauptet, das fensterlose Dunkel unserer Zelle sei die Vorstufe des Fegefeuers, und fastet seit Tagen oder Wochen. Ja, sie spricht von sich sogar als einer Märtyrerin, die nun bereit sei, endlose Dunkelheit und brennende Qualen auf sich zu nehmen, um am Jüngsten Tag als Heilige dem Kerkergrab zu
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