Die heimliche Päpstin
entsteigen.
»Waren nicht die größten Heiligen einst große Sünder?« fragte sie mich mit einem frommen Augenaufschlag, den ich nicht von ihr kannte und der mich beinahe lachen ließ.
»An wen denkst du?«
Eine Weile überlegte sie, um schließlich zu antworten: »An Maria Magdalena.«
Ich erwiderte nichts, weil ich mit ihr keine religiöse Debatte führen wollte. Bisher hatten wir uns nicht übermäßig für die Bibel, für Heilige und religiöse Fragen interessiert – warum dann jetzt? Weil unser Ende bevorsteht? Ich versuche, mich an das zu halten, was einst Demokrit erkannte und Epikur lehrte. Unsere Seele besteht wie unser Leib aus Atomen, die sich im Tod zerstreuen, so daß wir ihn nicht mehr empfinden. Wir wissen nicht, ob sich unsere Seelenatome in neuen Gestalten wiederfinden, in einer anderen, besseren Welt. Ich möchte glauben, daß mit dem Tod ein tiefer Frieden einkehrt, eine gnadenreiche Erlösung, ein Aufgehen in dem göttlichen Wesen, das vielleicht nichts anderes ist als die Summe aller Atome.
Aber natürlich betrachten die Kirche und mit ihr alle Priester dies als eine böse Ketzerei, als ungläubiges Gedankengut aus einer noch nicht erleuchteten Zeit; sie beschwören die lodernden Flammen des Fegefeuers und die unaussprechlichen Qualen der Hölle, sie sprechen vom Jüngsten Gericht und dem höchsten Richter, von Sünden, Sühne und Büßen, von Zerknirschung oder ewiger Verdammnis …
»An Maria Magdalena«, wiederholte Marozia, »die dem Herrn die Füße salbte.«
Mir Marozia als eine Heilige vorzustellen reizte mich erneut zum Lachen. Doch unterdrückte ich es, weil ich sie nicht verletzten wollte. Immerhin war sie auf den Namen Marozia getauft, auf Mariuccia, wie das Volk sagt, Mariechen. Und wenn Bußgebete und Fasten ihr über die Qual der Kerkerhaft hinweghelfen, dachte ich, soll sie sich ruhig als Märtyrerin fühlen.
»Wenn uns Anastasius das nächste Mal besucht, müssen wir versuchen, den Spieß herumzudrehen, und ihn aushorchen«, sagte ich, um auf ein naheliegenderes Thema auszuweichen.
Sie schaute mich erneut mit diesem frommen Augenaufschlag an und hauchte: »Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt, sagt der Herr.«
»Da hast du recht«, antwortete ich. »Geliebt hast du wirklich viel.« Sie überhörte den Spott. »Wie dem auch sei«, fuhr ich fort, »ich denke, Alberico hat etwas mit uns vor.«
»Er wird mich töten lassen«, sagte sie dumpf und wandte sich ab. »Laß mich beten!«
Kopfschüttelnd beugte ich mich wieder über mein Pergament, strich es glatt, rückte die Kerzen näher heran, spitzte die Feder, las mir noch einmal meine letzten Eintragung durch.
Die Jahre der Ruhe vor dem Sturm hatten in meiner Erinnerung an Farbe gewonnen, ich hörte wieder die Stimmen, sah die Bilder der Zerstörung, fühlte aber auch die Zufriedenheit, die mich erfüllte. Am wenigsten sehe ich seltsamerweise die Kinder der damaligen Jahre vor mir: Sie wuchsen heran, blieben gesund, lernten eifrig, erfreuten uns täglich durch ihr fröhliches Lachen und trieben ins Vergessen.
Vielleicht hängt dies damit zusammen, daß ich mich weniger um sie als um den Aufstieg des Hauses Theophylactus kümmerte. Meine Vorschläge waren auf fruchtbaren Boden gefallen, sogar Theodora hatte sich von ihnen überzeugen und von meiner Begeisterung anstecken lassen. Bischof Johannes war mittlerweile wieder nach Bologna abgereist, Theophylactus unterdrückte seine Eifersucht erfolgreich – zumindest für eine Weile – und kam mit seiner Gemahlin überein, daß beide unter allen Umständen an einem Strang ziehen sollten: ihren Einfluß zu vergrößern, den Reichtum zu vermehren und die Herrschaft über Rom zu erlangen. Markgraf Alberich solle ihnen dabei zur Seite stehen, und auch Sergius müsse, unterstützt von seiner Anhängerschaft, unbedingt die Stellung in Rom besetzen, die er seit langem anstrebe. Beide Männer seien auf jeden Fall als Freunde zu behalten. Darüber hinaus waren sie sich mit mir einig, daß die Sarazenen im Süden zurückgedrängt werden müßten und daß den Ungarn im Norden der Weg zu versperren sei, weil das gelobte italische Land andernfalls zwischen Skylla und Charybdis zerschmettert werde.
Das Geld, das man bisher von Aaron erhalten hatte, war noch nicht aufgebraucht, doch reichte es nicht, den Bau des Palasts auf dem Aventin in Angriff zu nehmen. Erneut suchten wir den Geldleiher auf. Aaron schien Theophylactus' Aufforderung, ihm weiteres Geld zu
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