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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Berger
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blieb hocken. Es war meine Rettung. Die Sarazenen waren so mit dem Einsammeln der Beute beschäftigt, daß sie nicht darauf achteten, woher die Kinder plötzlich auftauchten. Sie störten nur mit ihrem irren Geschrei und wurden wie tollwütige Hunde erschlagen …«
    Erneut versagte Theodora die Stimme, und sie schwieg lange. Schließlich fuhr sie leise fort: »Ich blieb in meiner Höhle. Niemand entdeckte mich. Als ich vorsichtig herausschaute, sah ich die Sarazenen mit dem Vieh davonziehen. Noch immer loderten die Flammen in den Himmel, bis die Balken einbrachen und die Häuser endgültig niedergebrannt waren. Als es zu dämmern begann, wagte ich mich aus meinem Versteck. Was ich sah, hat sich mir wie mit einem glühenden Eisen eingebrannt. Keiner lebte mehr bis auf den struppigen Hund eines Schäfers, den ich gut kannte. Winselnd kam er zu mir gekrochen, als ich mitten unter den verstümmelten, verkohlten Leichen hockte, halb tot vor Entsetzen. Er rettete mir das Leben, weil er mich immer wieder mit seiner kalten Schnauze anstieß und mich aus meiner Erstarrung holte. Ich nannte ihn Jesus, wie den Erlöser.
    Als die Nacht hereinbrach, suchte ich wieder Zuflucht in meiner Höhle, schlaflos, zitternd, an Jesus geklammert. Im ersten Licht des anbrechenden Morgens begrub ich von meinen Eltern, was von ihnen übriggeblieben war. Ich muß auch in die angrenzenden Wälder gezogen sein, um Beeren und Früchte zu sammeln. Wie lange ich im verbrannten Dorf und in der Höhle blieb, weiß ich nicht mehr. Einmal hörte ich Stimmen und rührte mich nicht, hielt Jesus die Schnauze zu. Es waren wahrscheinlich Mönche vom Kloster Farfa, das die Sarazenen nicht hatten verwüsten können, weil seine Mauern zu hoch waren. Ich glaube, sie beerdigten die Leichenteile, die noch überall verstreut lagen.
    Als ich kaum mehr stehen konnte vor Schwäche, nachdem ich tagelang so gut wie nichts gegessen hatte, wurde ich von einer Gauklertruppe entdeckt, die nach Rom zog. Einige ihrer Männer hatten sich angeschlichen und Jesus mit einem Fleischstückchen geködert, so daß er nicht bellte. Ich wurde eine von ihnen, ein Gauklerkind, eine Akrobatin, die auf den Männerturm kletterte, sich verbog und andere unsinnige Dinge tat, über die die Zuschauer staunten.«
    Als sie nicht mehr weitererzählte, fragte ich: »Und wie hast du Theophylactus kennengelernt?«
    »Er entdeckte mich auf dem Campo dei Fiori. Ich war nun älter, mußte aber noch immer auf der Spitze der Männerpyramide stehen. Beim Aufstieg war ich einmal unaufmerksam; ich rutschte ab, klammerte mich an einem Arm fest und brachte die ganze Pyramide ins Einstürzen. Einige unserer Männer brachen sich die Knochen, andere kamen glimpflicher davon; ich wurde von ihnen an Ort und Stelle fürchterlich verprügelt. Das Publikum johlte vor Begeisterung – bis mich Theophylactus rettete. Wie ein Gott tauchte er in seiner Größe auf, warf den Männern meiner Truppe ein paar Goldstücke zu, rief: ›Ich kauf sie euch ab!‹ und zerrte mich durch die höhnisch klatschende Menschenmenge, halb nackt, wie ich war, mit meinen blauen Flecken, Schürfwunden und einem verstauchten Knöchel.«
    »Und dann hat er dich geheiratet? Das klingt ja wie ein Märchen.«
    »Ja, es war so ähnlich wie im Märchen. Aber er hat mich erst später geheiratet, obwohl er mich bereits am ersten Abend in sein Bett zog. Meine blauen Flecken schmerzten schrecklich.«
    »Jetzt beginne ich zu verstehen, warum du mich aus den Klauen des Sergius gerettet hast.«
    »Wir könnten fast Schwestern sein.« Theodora lachte nun, und ihr Lachen klang so befreiend, daß ich einfiel, um nicht weinen zu müssen. Wir umarmten uns, bis Theophylactus im Türrahmen auftauchte, die Kinder an der Hand. Er sah müde und zerquält aus, die Kinder jedoch strahlten und stürzten sich juchzend auf mich. Alles ist gut geworden, dachte ich, es gibt trotz allem einen gerechten Gott. Oder ein Schicksal, das besänftigt.
    Als ich, Alexandros an der Hand, Theophylactus und Theodora mit den Mädchen allein ließ, warf ich einen kurzen Blick auf meine Retterin. Ihr Antlitz lächelte in befreitem Schmerz und in Erwartungsglück: Doch dieses Lächeln verbarg etwas, und ich ahnte, daß sie mir noch nicht alles erzählt hatte.
    24
    Mittlerweile habe ich fast völlig das Gefühl für die gegenwärtige Zeit verloren. Werde ich müde, lege ich die Feder beiseite oder beobachte die Ratten, die uns regelmäßig besuchen und sich über die Essensreste freuen.

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