Die heimliche Päpstin
plätschernd ein Wasserstrahl.
An diesem Abend – es war im Sommer des Jahres 903 – hörten wir, daß Papst Benedictus den Weg ins Himmelreich angetreten habe, im Vatikan und auf den Straßen der Stadt die gewöhnliche Gesetzlosigkeit herrsche und die Menschen weintrunken tanzten. Drei Tage später war zu aller Überraschung Leo V. zum pontifex maximus ernannt. Es herrschte in unserem Palast heftiges Treiben, Johannes und Sergius, mit ihnen eine Reihe der Adelshäupter und Kardinäle trafen sich in unserer marmorglänzenden Empfangshalle und sprachen alle so laut durcheinander, daß ich, die ich mich zur Verfügung hielt, um ein Protokoll anzufertigen, nichts verstand. Ich sah nur Sergius Drohreden mit der Faust unterstreichen, Johannes beruhigend die Arme schwenken und Alberich lachen.
Schließlich gingen alle auseinander, ohne daß ein Beschluß gefaßt worden war.
Einen Monat später wurde Papst Leo von Kardinal Christophorus vom Stuhl Petri gestürzt und mußte unfreiwillig den Weg aller Sterblichen gehen. Christophorus erklärte sich selbst zu seinem Nachfolger und ließ sich von den Kardinälen im päpstlichen Amt bestätigen – was stummes, aber wissendes Kopfschütteln hervorrief.
Ich sprach mit Martinus über die Vorgänge. »Warum läßt sich Sergius nicht endlich zum Papst wählen? Danach trachtet er doch bereits seit einem Jahrzehnt. Und auch Theophylactus wünscht das Pontifikat seines Freundes. Was soll dieser blutige Stellvertreterkampf – oder geben die Formosus-Anhänger noch immer nicht auf?«
»Leo gehörte früher tatsächlich zur Partei des Formosus«, flüsterte Martinus. »Er wurde ermordet, was nicht gerade sehr christlich ist.«
»Was ist schon christlich in dieser Stadt!« sagte ich mit gedämpfter Stimme.
Wir saßen auf einer steinernen Bank unter einem Rosenbogen im hinteren Teil des weitläufigen Parks. Der Mond schien, so daß wir keine Lichter brauchten; es war eine milde, grillendurchzirpte Nacht.
»Dieser Christophorus ist sicher einer von Sergius' Handlangern.«
Als hätte das von mir verwendete Wort ihn angeregt, nahm Martinus meine Hand und legte sie in seine. »Weißt du, daß du für uns alle unentbehrlich geworden bist?«
Ich mußte lachen. »Keiner ist unentbehrlich.«
»Auch Aaron betonte kürzlich, daß sogar Rom dir viel zu verdanken hat – so viel wie einem guten Papst! Bevor wir ihn damals, vor Jahren, aufsuchten, hatten die jüdischen Fernhändler bereits überlegt, Rom als Stützpunkt gänzlich aufzugeben. ›Zuviel Verfall, zuviel Rechtlosigkeit und Verwahrlosung‹, sagte er zur Begründung.«
»Ich bin doch nur eine byzantinische Sklavin.«
»Du bist ein byzantinisches Wunder. Klug, entschlossen, noch immer schön« – langsam hob er meine Hand zu seinen Lippen – »und liebenswert.«
Ich ließ ihm meine Hand, antwortete aber nicht.
»Mein Onkel hat wieder geschrieben. Er plant eine große Expedition nach Konstantinopel und sucht zugleich jemanden, der für ihn nach Venedig geht.« Als ich weiterhin schwieg, fuhr er fort: »Du hast hier alles erreicht, was du erreichen konntest. Venedig wäre eine Herausforderung für dich – für uns. Und du könntest deine Heimat wiedersehen.«
»Als Sklavin kann ich nicht einfach gehen.«
»Du hast so viel für Theophylactus getan: Er wird dir die Freiheit schenken.«
»Und was wird aus meinem Sohn?«
»Ihn nehmen wir natürlich mit. Ich werde ihn wie einen eigenen lieben.«
Ich schwieg.
Im Haus herrschte noch immer keine Ruhe. Bischof Johannes besuchte Theodora, und Sergius saß mit Theophylactus und Alberich zusammen. Ich verstand die Vorgänge im Vatikan im Augenblick wirklich nicht. Warum ließ Sergius zu, daß Christophorus Papst Leo ermordete und handstreichartig den Stuhl Petri eroberte? Warum hatte er sich nicht wenigstens nach Leos Tod wählen lassen? Befürchtete er zu viel Widerstand? Ging es ihm darum, mögliche Konkurrenten auszuschalten?
Ich versuchte, den Sinn im augenblicklichen Machtgeschacher zu ergründen, um meine hervorbrechenden Sehnsüchte beiseite zu schieben: Hörte ich von Venedig und Konstantinopel, roch ich den Duft von Goldorangen und Limonen, sah den Himmel über dem Bosporus und den Glanz des kaiserlichen Palasts, hörte die griechischen Laute meiner Muttersprache und spürte plötzlich wieder die Nähe meiner Eltern. Seitdem wir auf dem Aventin in großzügigem Luxus wohnten, frischere Luft atmeten und einen freien Blick auf die Ruinen des Palatin und den in
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