Die heimliche Päpstin
zwar ebenfalls ungewöhnlich, jedoch einsichtig. Sogar das Heer der Huren, die den Pilgern wie Klerikern zu Diensten war, stellte weniger Gewalt auf den Straßen der Stadt fest sowie eine zunehmende Zahlbereitschaft der Kunden. Mancher Soldat aus Alberichs Truppe wurde kostenlos bedient, pries die Willfährigkeit, Geschicklichkeit und Sauberkeit der jungen Frau und durfte schließlich teilhaben am Verdienst seines Schützlings.
Es dauerte kein Jahr, da spürte auch der neue Papst Benedictus IV., noch immer ein Mann aus der Fraktion der Formosus-Anhänger, und mit ihm die gesamte Kurie eine Entwicklung, die dem Vatikan zwar mehr Einkünfte brachte, aber zugleich weniger Anhänger unter den wichtigen Adelsfamilien der Stadt. Eins ließ sich nicht leugnen: Senator Theophylactus war ein richtiger Konsul im altrömischen Sinne geworden und hatte die Gesetzlosigkeit in der Stadt spürbar abnehmen lassen. Die Folgen: klingende Münzen nicht nur in den Händen von Herbergsbesitzern und Huren, sondern auch in den Opferstöcken. Die Summe der Bußgelder stieg, die vatikanischen Truhen füllten sich. Daß Theophylactus vor den Toren der Stadt eigene Zollstellen errichtete, wurde von der päpstlichen Kanzlei zuerst stillschweigend geduldet und schließlich durch Ausstellung von Privilegien-Urkunden abgesegnet: Sie dienten der Sicherheit der Pilger- und Warenströme, so ließ Alberich als Theophylactus' Beauftragter mitteilen.
Martinus und ich hatten damals viel zu tun, den Aufbau und die Absicherung der neuen Verhältnisse zu organisieren und zu kontrollieren. Wir kamen wöchentlich mit Aaron zusammen, der sein Geschäfts- und Wohnhaus an der Engelsbrücke erweitert sowie ein angrenzendes Gebäude samt Garten erworben hatte und dessen Ratschläge und Hinweise uns eine unersetzliche Hilfe waren. Er erweiterte unsere Kenntnisse über die weite Welt des Handels und die Gesetze des Wirtschaftens, er erläuterte uns einmal mehr, warum es sinnvoll und richtig sei, trotz des christlichen Verbots Zinsen zu nehmen, denn Geld habe die wundersame Eigenschaft, sich selbst zu vermehren, so es richtig eingesetzt und nicht einfach nur verpraßt werde. Aaron informierte uns auch über die Kämpfe der Großen in Italien, über Kriege und Verschwörungen bis weit über die Alpen und das Meer hinaus.
»Wissen ist die Grundlage für Wohlergehen und Reichtum«, pflegte er zu sagen, wenn er uns verabschiedete, »dazu die Herrschaft des Rechts und, nicht zuletzt, die Notwendigkeit der Toleranz.«
Nicht nur in Rom ging es aufwärts, sogar der Aufbau der neuen Anlagen auf den Höhen der Albaner Berge und in der Sabina zeigte Fortschritte. Die Menschen wohnten jetzt in Dörfern zusammen, deren Befestigung sie selber errichten mußten. Dafür überließ man ihnen einen Teil des Landes zur privaten Bewirtschaftung. Der andere Teil gehörte dem Grundherrn, in unserem Fall also Theophylactus, der von einem Verwalter vor Ort vertreten wurde. Für diesen Teil mußten die Bauern ebenfalls ihre Arbeit zur Verfügung stellen. Da ihr Grundherr ihnen Schutz versprach, sogar eine kleine Wachmannschaft in einer steinernen Burganlage stationierte – die die Gemeinschaft natürlich zu unterhalten hatte –, akzeptierten die Bauern die Fronarbeiten und zusätzlichen Abgaben, zumal sie klar geregelt waren und ihnen letztendlich einen Vorteil verschafften.
Trotz der anhaltenden Bedrohung durch die Sarazenen strömten Menschen, die zuvor nach Rom geflüchtet waren und dort durch Bettelei und räuberisches Unwesen ihr Überleben gesichert hatten, wieder zurück aufs Land. Auch aus anderen Landesteilen schlugen sich verarmte Bauernfamilien bis zu den ersten befestigten Lagern durch, wo sie Arbeit fanden.
Während Martinus und ich unseren wirtschaftlichen Aufstieg ausbauten und auf eine sichere Grundlage stellten, sorgten Theophylactus und Alberich für die politische Festigung der neugewonnenen Stellung. Die alten Freunde aus den adligen Geschlechtern schauten zwar nicht ohne Neid auf Theophylactus' Erfolg und den zwangsläufig sich einstellenden Machtzuwachs, aber sie versprachen sich davon auch eine eigene Zunahme an Einfluß. Einige ahmten sogar seine wirtschaftlichen Maßnahmen nach.
Die Gegner aus der Formosus-Fraktion, die mit dem Teutonen Arnulf und seinem langobardischen Helfershelfer Berengar paktiert und bei der letzten Papstwahl noch immer die Mehrheit gestellt hatten, erkannten, daß der Wind des Wandels ihnen heftiger ins Gesicht blies. Theophylactus
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