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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Berger
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und schickte sie, nachdem er sich mit Marozia auf der Westloggia niedergelassen hatte, ins Atrium, wo sie auf ihn warten sollten. Als ich mich ebenfalls zurückziehen wollte, bestand er darauf, daß ich Giovanni hole und mich zu ihnen setze.
    So geschah es. Auch der kleine Alberico hatte mitkommen wollen, war aber von seiner Mutter mit dem Kindermädchen weggeschickt worden, worauf er in lautes Protestgeschrei ausbrach. Giovanni dagegen hatte brav auf einem Hocker neben seiner Mutter Platz genommen, in sein kindliches Bischofsgewand gehüllt, in der Hand einen kleinen Stieglitz, der sich ängstlich duckte. Marozia schaute lächelnd auf ihren Ältesten, der Heilige Vater lächelte ebenfalls, der kleine Giovanni streichelte sein Vögelchen und schien froh zu sein, sich nicht dem Totenkopf des alten Mannes zuwenden zu müssen.
    Papst Sergius versuchte zwar, trotz des Stockes aufrecht zu gehen und zu sitzen, doch es gelang ihm kaum. Seine blaßgrauen Augen lagen tief in den Höhlen, umrandet von fast schwarzen Schatten; Schläfen wie auch Wangen waren eingefallen, die Lippen bleich und schmal. Erstaunlicherweise besaß er noch die meisten Zähne. Nur eine Lücke stach deutlich hervor und ließ ihn gelegentlich zischend ausatmen, so daß der kleine Giovanni erschrocken aufschaute, bevor er sich eilig wieder seinem Stieglitz zuwandte.
    Auch Marozia sehe ich vor mir: Sie war guter Hoffnung, mit sichtbar sich vorwölbendem Leib, ohne sich jedoch plump zu bewegen, wie es Hochschwangere häufig tun; zudem strahlte sie etwas Gewinnendes, Siegreiches aus. Neben ihr hockte dieser Greis, der abgemagert und gealtert war, jedes einzelne Haar seiner Tonsur verloren hatte und sich bereit machen mußte, seine letzte Reise anzutreten.
    Ich saß zuerst bei ihnen, als sei ich auf dem Sprung, doch Papst Sergius ergriff unversehens meine Hand, drückte sie mit seinen knotigen Fingern und schaute mich fragend an.
    »Ich segne euch und eure Nachkommenschaft«, krächzte er, indem er die drei Finger der Segnung hob, räusperte sich umständlich und ließ seinen Blick auf dem kleinen Giovanni ruhen. »Wenn dich der höchste Richter herbeiwinkt und du weißt, daß er dich bald aburteilen wird, läßt du noch einmal die unverzeihlichsten Sünden deines Lebens an dir vorbeiziehen.« Er schnaufte und wischte sich über den Mund. »Ich habe mich an euch versündigt, meine Töchter, und bitte euch, mir zu vergeben. Auch wenn der Vater im Himmel mir die Absolution verweigern wird, so mögt wenigstens ihr sie mir erteilen.«
    Marozia und ich schauten uns an. Sie strich ihrem kleinen Sohn über den Kopf, der sich nun sogar so weit auf seinen Vogel hinabbeugte, daß dieser ihn in die Wange pickte.
    »Heiliger Vater«, sagte sie stockend, »ich habe Euch längst vergeben. Dieses Kind ist der Ausgleich, den mir der Herr in seiner Gnade geschenkt hat.« Nach Worten suchend fuhr sie fort: »Unser kleiner Giovanni ist bereits jetzt durchdrungen vom Geist seines Vaters … im Himmel.« Um erst gar nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, sie meine ihre Worte ironisch oder gar spöttisch, lächelte sie gewinnend. Selbst ich, die Marozia seit ihrer Geburt kenne, habe in diesem Lächeln nichts Falsches entdeckt. Wenn nötig, schmilzt dieses Lächeln jeden Widerstand hinweg. Erst der Kerker hat seine Kraft gebrochen.
    Nun schaute Papst Sergius mich forschend an.
    Ich erinnere wenige Ereignisse aus der Zeit des Sergius, am intensivsten den Moment, in dem er mir und dem ungeborenen Leben den Tod androhte, doch all dies liegt nicht nur weit zurück, sondern scheint in einem anderen Leben stattgefunden zu haben. Ich, die ich damals war, bin mir, der heutigen Person, ferngerückt. Da ich mein Leiden mit Fassung ertrug, hallt es lediglich nach wie ein schwächer werdendes Echo.
    »Das Kind, das ich auf die Welt brachte, war ein Geschenk des Himmels, aber es wurde mir wieder genommen«, sagte ich nach einer Pause. »Euer Kind!« fügte ich betont an.
    Ein Erschrecken verzog den Totenkopf. Seine tiefliegenden, wäßrigen Augen zuckten, und eine einzelne bläuliche Ader über der eingefallenen Schläfe pochte. »Lebt dein Sohn nicht mehr?«
    »Ihm drohte der Tod, und ich habe ihn verloren«, antwortete ich kryptisch.
    Giovanni schaute kurz auf, aber ich denke nicht, daß er bereits verstehen konnte, was ich sagte. Kleine Kinder sind zu ihrem Glück blind für den Tod, bis er nach ihrer Hand greift.
    »Der Herr gibt, und der Herr nimmt«, sagte Papst Sergius nicht ohne die

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