Die heimliche Päpstin
Kinder nach Gottes Ratschluß, was kannst du dafür?«
Sie ließ sich indes nichts sagen. Als sie erneut schwanger wurde, erklärte sie mir, Gott habe ihr auferlegt, ihren nächsten Sohn der Kirche zu weihen.
»Du hast doch bereits Giovanni …«
»Giovanni soll Papst werden, wie sein Vater«, erklärte sie bestimmt, »Konstantin jedoch ein Heiliger.«
Sie glaubte also daran, daß ihr nächstes Kind erneut ein Junge würde, und hatte bereits einen Namen für ihn ausgewählt. Ich schüttelte nur den Kopf.
Sie sollte recht behalten. Es wurde ein Junge, er erhielt den Namen Konstantin.
Auch wenn ich jetzt weit in die Zukunft vorauseile, so füge ich doch sogleich an, daß Marozia ihn tatsächlich der Kirche weihte. Konstantin, der häufig im Haus seiner Großmutter weilte, wuchs unauffällig im Schatten seiner Brüder heran. Als er sein sechstes Jahr erreichte, gab Marozia ihn – gegen Theodoras Protest – als puer oblatus ins Kloster Farfa. Ich hatte ihr damals in aller Deutlichkeit davon abgeraten, weil ich wußte, daß der Junge todtraurig und verzweifelt sein würde. Und so ist es gekommen. Sein Unglück im steten Kampf mit den anderen Jungen, seine Schmerzen unter der strengen Rute der Mönche verwandelten sich mit der Zeit in bedingungslose, strenge Frömmigkeit, die den Lebenswandel der Mutter bereits früh zu mißbilligen begann.
Als fünftes Kind wurde unsere Berta geboren, deren Schicksal mich ganz besonders traurig macht: Völlig unschuldig muß sie nun für die Sünden ihrer Mutter – oder sollte ich sagen: die Fehlentscheidungen – und die hochfahrende Dummheit ihres letzten Stiefvaters büßen.
Marozia betrachtete ihre einzige Tochter nach der Geburt als würdige Nachfolgerin, und die Mutterliebe flackerte daher heftig auf. Doch Berta ließ die Merkmale der Sinnenfreude, die Marozia so auszeichneten, vermissen, so daß Marozias Hoffnung ins Leere stieß.
Anmerken möchte ich, daß Marozias Schwester Theodora, die stets in ihrem Schatten stand, bald nach ihr dem Adelssproß Crescentius zur Frau gegeben wurde. Dieser Crescentius aus der Nachbarschaft der Via Lata war ein zurückhaltender, jedoch kluger und loyaler Mann, dessen Tatkraft sich nicht auf das Waffenhandwerk und die Jagd richtete, sondern auf die Verwaltung und Vermehrung des familiären Vermögens.
Es ist sicherlich kein Zufall, sondern von unserem Schöpfer trefflich eingerichtet, daß Theodora drei Mädchen auf die Welt brachte, die sich so auffallend hübsch entwickelten, daß man sie bereits in jungen Jahren die drei Grazien nannte. Durch ihr fröhliches, unbefangenes Wesen sowie durch den Reichtum und die Machtfülle ihrer Großeltern erweckten sie früh das Interesse der Adelsfamilien aus Rom, Tusculum und sogar Neapel. Da sie sich mit Alberico immer besser verstanden als mit Giovanni, dürften sich ihnen jetzt, so wünsche ich ihnen, ganz neue Möglichkeiten erwachsen.
Ich stelle fest, daß ich in das gemächliche Fahrwasser eines genealogischen Berichts eingetaucht bin. Dies hat wohl etwas damit zu tun, daß die Jahre nach Giovannis Geburt vor meinem geistigen Auge verschwimmen; die wenigen Geschehnisse, an die ich mich noch erinnern kann, reihen sich nicht mehr in chronologischer Ordnung wie Gänseküken, die ihrer Mutter folgen, sondern ragen wie verstreute Inseln aus dem Meer des Vergessens.
Ich lebte damals in dem ständig sich erweiternden Haus des Markgrafen Alberich am kapitolinischen Hügel. Theophylactus verwaltete – mit Aarons Hilfe – eine Weile selbst seine Güter und Handwerksbetriebe, die Zolleinnahmen und Wegegelder, betrieb den weiteren Ausbau der wehrhaften Dörfer in der Sabina, in den Albaner Bergen und in Latium. Die Gerüchte um das goldene Kreuz des Belisar, die in den Kreisen der Senatoren und den Gängen des wiederhergestellten Lateranpalasts kursierten, verstummten nach und nach, zumal Papst Sergius sie überhörte. Die Anhänger des Formosus bildeten kaum noch eine festgefügte Fraktion und bedrohten nicht mehr den inneren Frieden der Stadt.
Ein Ereignis ragt in schmerzhafter Klarheit aus dem Meer des Vergessens: Es betrifft Sergius, der kurz vor seinem Tod, bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, unangemeldet in unserem Palast auftauchte, dabei den Hausherrn, Markgraf Alberich, nicht antraf – was er nicht weiter bedauerte.
Um zu gehen, brauchte Sergius bereits einen Stock, doch lehnte er brüsk die unterstützende Hilfe seines Kammerdieners und des ihn begleitenden Diakons ab
Weitere Kostenlose Bücher