Die heimliche Päpstin
ging erst einmal mit Theophylactus auf die Jagd, um sich nach seiner Rückkehr wieder intensiver Marozia zuzuwenden.
»Er läßt mich keine Nacht in Ruhe«, berichtete sie mir. »Er glaubt nicht daran, daß Giovanni alt wird, und drängt auf einen zweiten Erben.«
Anderthalb Jahre nach seiner Geburt mußte Giovanni die Aufmerksamkeit seiner Mutter mit einem Brüderchen teilen. Alberich, der Stier von Spoleto, wie er sich gerne nennen ließ, hatte ganze Arbeit geleistet. Alberich der Zweite, genannt Alberico, war diesmal ein echter Sohn seines Vaters, ganz unzweifelhaft ein Langobarden-Nachfahre mit blonder Mähne und kräftiger Stimme, unstillbarem Hunger und kaum zu bändigendem Bewegungsdrang. Schon bald machte es ihm Spaß, von seinem Vater in die Luft geworfen zu werden – was man von Giovanni nicht sagen konnte.
Ich erinnere diese Jahre, in denen schließlich die Basilika San Giovanni in Laterano von Papst Sergius neu geweiht wurde, als ruhige Zeit, aus der nur gelegentlich Kindergeschrei an mein Ohr dringt. Marozia, das holde Engelskind, das lebendige und leidenschaftliche Mädchen voller Liebreiz, war eine Frau geworden, der – nach dem schwarzen Tal zu Beginn ihrer Mutterschaft – das Wohlergehen ihres ältesten Sohns Giovanni besonders am Herzen lag. Für sie bestand kein Zweifel, daß er unter ihrer Leitung die geistliche Laufbahn einschlagen müsse. Wenn sie schon keine Päpstin werden durfte, dann sollte wenigstens ihr Erstgeborener einmal das Papstamt verwalten.
Kaum sprach er seine ersten vollständigen Sätze, las sie ihm neben den Psalmen Heiligenviten vor, ließ ihm kleine liturgische Gewänder schneidern, Chorhemden mit Pallium und Stola, dazu eine Mitra und eine Tiara, schenkte ihm zudem Holzfiguren aus der biblischen Geschichte, Adam und Eva mit den Tieren des Paradieses, Kain und Abel, Abraham mit Isaak und dem Widder, sogar einen sorgfältig geschnitzten Gekreuzigten, den man vom Kreuz abnehmen konnte.
Da Giovanni sehr an seiner Mutter hing, machte er alles geduldig mit, und während er der Psalmenlesung lauschte, spielte er mit den Tieren des Paradieses. Weil er so artig war, ließ sie ihn zur Belohnung an ihrem Finger lutschen, den sie zuvor in ein Fäßchen mit Honig getunkt hatte.
Eine Szene werde ich nie vergessen: Ich sehe ihn verloren in einem Bischofsgewand, mit dem Stab in der Hand, in einem großen leeren Raum stehen, seine Mutter klatschte Beifall, während ihn sein Bruder Alberico, in der Rechten ein Holzschwert schwingend, mit Galoppbewegungen umkreiste und immer wieder attackierte, so daß er schließlich in hilfloses Weinen ausbrach. Marozia sprang ärgerlich hinzu, entriß Alberico sein Schwert und ließ es mit voller Wucht auf seinen Hintern sausen. Der Junge schrie kurz auf und humpelte schließlich, ohne sie eines Blickes zu würdigen, davon.
Unterschiedlicher konnten die Brüder sich auf jeden Fall nicht entwickeln: Giovanni war ein ruhiges, gehorsames Kind, trotz zahlreicher Krankheiten und häufigen Nasenblutens gutmütig und in sich zurückgezogen. Er schlief viel, lernte seine Psalmen ohne Schwierigkeiten, aber auch ohne Begeisterung und hielt wenig von den rauhen Kampfspielen seines blonden Bruders, der ihn mit Freuden zu Boden rang. In einem Punkt zeigte er eine besondere Begabung: Er sang gerne mit klarer, heller Stimme.
Der kleine Alberico entwickelte sich dagegen in Aussehen und Lautstärke, auch in Körperwuchs und Stimme zum Nachfolger seines Vaters, was diesen mit liebendem Stolz auf seinen zweiten Sohn schauen ließ. Ob ihm manchmal der Verdacht kam, daß ihm mit Giovanni ein Kuckucksei ins Nest gelegt worden war, weiß ich nicht. Niemand sprach mehr darüber. Die Ähnlichkeit mit Sergius, die Giovanni zu Beginn seines Lebens gezeigt hatte, nahm später zum Glück deutlich ab.
Während der nachfolgenden Jahre brachte Marozia drei weitere Kinder zur Welt, zwei Jungen und ein Mädchen. Auf ihr drittes Kind hatte sie sich ganz besonders gefreut, weil sie glaubte, es würde ein Mädchen, ihr Ebenbild in Schönheit und Anmut. Es wurde jedoch ein Junge, dessen Geburt sie über Gebühr quälte und der so schwächlich war, daß er nach einigen Wochen lautlos verschied.
Ohne daß ich den Grund erfuhr, glaubte Marozia an seinem Tod schuld zu sein, und sie begann zu fasten, halbe Nächte zu beten und mit Hilfe ihres Beichtvaters nach einer angemessenen Buße zu suchen.
»Du übertreibst«, konnte ich nicht umhin, einmal anzumerken. »Es sterben so viele
Weitere Kostenlose Bücher