Die Heiratsschwindlerin
spontan.
»Nein«, ertönte Ruperts gedämpfte Stimme gut hörbar in der Abendluft; als er weiter vortrat, wurde unter dem Licht sein blondes Haar sichtbar. »Milly, ich bin’s.« Überrascht blieb Milly stehen.
»Rupert?«, meinte sie ungläubig. »Was machst du denn hier? Du warst doch in London.«
»Ich bin mit dem Zug hergekommen. Ich musste dich sehen. Bei dir zu Hause war niemand, also bin ich hier.«
»Dann hast du es ja wohl schon gehört.« Milly trat von einem Fuß auf den anderen. »Es ist alles ans Licht gekommen. Die Hochzeit ist geplatzt.«
»Ich weiß. Deswegen bin ich hier.« Er rieb sich das Gesicht, dann sah er auf. »Milly, ich habe Allan für dich ausfindig gemacht.«
»Du hast ihn gefunden? Schon?« Millys Stimme hob sich aufgeregt. »Wo ist er? Ist er mitgekommen?«
»Nein.« Rupert ging langsam auf sie zu und ergriff ihre Hände. »Milly, ich habe schlechte Nachrichten. Allan ist … Allan ist tot. Er ist vor vier Jahren gestorben.«
Fassungslos sah Milly ihn an. Es war, als hätte man ihr einen Eimer eiskaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. Das war einfach nicht wahr. Allan konnte nicht tot sein. Leute seines Alters starben nicht. Das war lächerlich.
Während sie Rupert anstarrte, erwachte in ihr unvermittelt der Wunsch loszukichern, das Ganze in den Scherz zu verwandeln, der es sicher war. Doch Rupert lächelte oder lachte nicht. Er sah sie mit seltsamer Verzweiflung an, als warte er auf eine Reaktion, eine Antwort. Milly zwinkerte ein paarmal und schluckte, die Kehle plötzlich wie ausgedörrt.
»Was … wie?«, brachte sie heraus. Bilder von Autounfällen kamen ihr in den Sinn. Von Flugzeugkatastrophen, übel zugerichteten Wrackteilen im Fernsehen.
»Leukämie«, erklärte Rupert.
»Er war krank?« Sie leckte sich die trockenen Lippen. »Er war krank, die ganze Zeit über?«
»Nicht, als wir ihn kannten. Erst danach.«
»Hat er … war es sehr schlimm?«
»Offenbar nicht.« Aus Ruperts Stimme konnte man heraushören, wie sehr er insgeheim litt. »Aber ich weiß es nicht. Ich war nicht dabei.«
Eine Weile sah Milly ihn wortlos an.
»Das kann doch einfach nicht sein«, sagte sie schließlich. »Er hätte nicht sterben dürfen.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das ist so schrecklich ungerecht.«
»Ja«, erwiderte Rupert mit bebender Stimme. »Das ist es.«
Sie starrte ihn einen Augenblick an, und Tausende gemeinsamer Erinnerungen schienen zwischen ihnen hin und her zu wandern. Dann, aus einer Regung reinsten Instinkts heraus, breitete sie die Arme aus. Rupert fiel ihr halb entgegen und vergrub seinen Kopf an ihrer Schulter. Milly hielt ihn fest umschlungen und sah zum tintenblauen Himmel hinauf. Tränen verschleierten ihr den Blick auf die Sterne. Und als sich eine Wolke vor den Mond schob, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass sie Witwe war.
Als Isobel die Küche betrat, sah Simon argwöhnisch von seinem Platz an dem riesigen Refektoriumstisch auf. Er hielt ein Glas Wein in der Hand, vor ihm lag die Financial Times , aufgeschlagen zwar, aber – wie Isobel vermutete – ungelesen.
»Hi«, grüßte er sie.
»Hi.« Isobel nahm ihm gegenüber Platz und griff nach der Weinflasche. Eine Weile herrschte Stille. Sie musterte Simon neugierig. Er starrte nach unten und mied ihren Blick, als trüge er gerade irgendeinen inneren Kampf aus.
»Tja«, sagte er schließlich. »Du bist also schwanger. Gratulation.«
»Danke.« Sie lächelte ihn zaghaft an. »Ich freue mich wirklich sehr darüber.«
»Gut«, sagte Simon. »Das ist schön«. Er griff nach seinem Glas und trank einen großen Schluck.
»Es wird dein Halbbruder«, setzte Isobel hinzu. »Oder deine Halbschwester.«
»Ich weiß«, war Simons kurze Antwort. Isobel sah ihn mitfühlend an.
»Hast du Probleme damit?«
»Na, ein bisschen schon, wenn ich ehrlich bin.« Simon stellte sein Glas ab. »In einer Minute wirst du meine Schwägerin. Dann plötzlich doch nicht. Dann wirst du mit einem Mal meine Stiefmutter und bekommst ein Kind!«
»Weiß schon«, meinte Isobel. »Es geht alles ein bisschen plötzlich. Tut mir leid. Wirklich.« Nachdenklich nippte sie an ihrem Wein. »Wie willst du mich übrigens nennen? ›Stiefmutter‹ scheint mir doch ein bisschen übertrieben. Wie wär’s mit ›Mum‹?«
»Sehr witzig«, sagte Simon gereizt. Er trank einen Schluck Wein, nahm die Zeitung zur Hand und legte sie wieder fort. »Wo zum Teufel ist Milly? Die brauchen ganz schön lange, findest du nicht?«
»Ach komm.
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