Die Heiratsschwindlerin
Gib dem Mädchen eine Chance. Sie hat gerade erfahren, dass ihr Mann tot ist.«
»Ich weiß«, sagte Simon. »Ich weiß. Aber trotzdem …« Er stand auf und ging ans Fenster, dann wandte er sich um. »Na, was hältst du von diesem Rupert?«
»Ich weiß nicht. Ich muss sagen, ich habe ein totales Arschloch erwartet. Aber dieser Typ wirkt bloß …« Sie dachte einen Augenblick nach. »Sehr traurig. Er wirkt bloß sehr traurig.«
»In Wahrheit«, sagte Rupert, »hätte ich sie nie heiraten sollen.« Er beugte sich vor, den Kopf müde auf die Hände gestützt. Neben ihm schlang Milly die Arme fester um ihre Knie. Beide saßen sie auf einer niedrigen Mauer hinter dem Bürotrakt; über ihnen hing, wie ein zweiter Mond, die alte Stalllaterne. »Ich wusste doch, was ich war. Ich wusste, dass ich eine Lüge lebte. Aber, weißt du, ich dachte, es ginge.« Unglücklich blickte er auf. »Ich dachte wirklich, es ginge!«
»Was, dachtest du, ginge?«, fragte Milly.
»Ein guter Ehemann zu sein! Ein normaler, anständiger Ehemann. Ich dachte, ich könnte all die Dinge tun, die andere tun. Dinnerpartys geben, zur Kirche gehen und unseren Kindern bei einem Krippenspiel zuschauen …« Er brach ab und starrte in die Dunkelheit. »Weißt du, wir haben versucht, ein Kind zu bekommen, letztes Jahr war Francesca schwanger. Im März wäre es gekommen. Aber sie hat es verloren. Nun werden alle Gott danken, dass sie eine Fehlgeburt hatte, oder?«
»Nein«, meinte Milly unsicher.
»Ach, natürlich. Sie werden das für einen Segen halten.« Mit blutunterlaufenen Augen sah er auf. »Vielleicht war das selbstsüchtig. Aber ich wollte dieses Kind. Ich wollte es unbedingt. Und ich …«, er zögerte, »ich wäre ihm ein guter Vater gewesen.«
»Es hätte von Glück reden können, dich als Vater zu haben.«
»Das ist lieb von dir.« Ein schwaches Lächeln erschien auf Ruperts Gesicht. »Danke.«
»Aber ein Baby ist auch keine Garantie«, wandte Milly ein. »Ein Kind hält eine Ehe nicht zusammen.«
»Nein. Das stimmt.« Rupert dachte einen Augenblick nach. »Das Merkwürdige ist, dass wir meiner Ansicht nach nie eine Ehe hatten. Nicht das, was ich eine Ehe nennen würde. Wir waren wie zwei Züge, die nebeneinander herfahren, fast ohne sich der Existenz des anderen bewusst zu sein. Wir haben nie gestritten; wir sind nie aneinandergeraten. Ehrlich gesagt, kannten wir einander kaum. Es lief alles sehr höflich und angenehm ab – aber es war nicht real.«
»Warst du glücklich?«
»Ich weiß nicht. Ich habe zumindest so getan. Ich habe mir sehr oft selbst etwas vorgemacht.«
Stille trat ein. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Rupert streckte seufzend seine Beine von sich.
»Sollen wir reingehen?«, fragte er.
»Okay«, meinte Milly vage. Eine Weile sah Rupert sie neugierig an.
»Na, und was ist mit dir?«
»Wie, mit mir?«
»Durch Allans Tod ändert sich doch alles.«
»Ich weiß.« Einen Augenblick betrachtete sie eingehend ihre Hände, dann stand sie auf. »Komm. Allmählich wird mir kalt.«
Als er hörte, wie die Haustür aufging, erhob sich Simon so abrupt, als hätte er einen Stromschlag erhalten. Er glättete sein Haar und ging linkisch auf die Küchentür zu, wobei er im vorhanglosen Fenster noch einmal sein Aussehen überprüfte.
»Vermutlich wird sie nicht mit dir sprechen wollen«, sagte Isobel. »Weißt du, du hast ihr wirklich wehgetan.«
»Ich weiß.« Bei der Tür blieb Simon stehen. »Ich weiß. Aber …« Er griff nach der Türklinke, zögerte einige Sekunden und drückte die Tür dann auf.
»Viel Glück!«, rief Isobel ihm hinterher. Milly stand gleich hinter der Tür, die Hände tief in den Taschen vergraben. Als sie Simons Schritte hörte, sah sie auf. Simon blieb stehen und starrte sie an. Plötzlich kam sie ihm anders vor; als hätten die Ereignisse der vergangenen beiden Tage eine völlig neue Person aus ihr gemacht.
»Milly«, sagte er zittrig. Sie nickte kaum merklich. »Milly, es tut mir leid. Es tut mir so leid. Ich habe das alles nicht so gemeint. Ich hatte kein Recht, so mit dir zu reden. Ich hatte kein Recht, diese Dinge zu sagen.«
»Nein«, sagte Milly leise. »Das stimmt.«
»Ich war verletzt, und ich war so geschockt. Und ich bin ohne nachzudenken über dich hergefallen. Aber wenn du mir noch mal eine Chance gibst, dann … dann mache ich das wieder gut.« Plötzlich glänzten Tränen in Simons Augen. »Milly, mir ist es egal, ob du schon mal verheiratet warst. Und wenn du sechs
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