Die Heiratsschwindlerin
lächelten freundlich. Rupert versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. Aber mit einem Mal fühlte er sich den musternden Blicken von fünfhundert christlichen Augen ausgesetzt. Was sahen sie? Für wen hielten sie ihn? Eine kindliche Panik stieg in ihm auf. Plötzlich ertappte er sich bei dem Gedanken, dass sie alle dachten, er sei wie sie. Aber er war es nicht. Er war anders.
Musik erklang, und alle erhoben sich. Rupert stand ebenfalls auf und schaute gehorsam auf sein gelbes Gesangsblatt. Die Melodie des Kirchenliedes war schwungvoll, der Text frohsinnig und erbaulich. Doch er fühlte sich nicht erbaut, er fühlte sich vergiftet. Er konnte nicht singen, konnte sich nicht von dem einen Gedanken losmachen. Alle denken sie, ich bin wie sie, dachte er immerzu. Aber das bin ich nicht. Ich bin anders.
Er war immer anders gewesen. Als Kind in Cornwall war er der Sohn des Schulleiters, hatte sich von den anderen abgehoben, bevor er überhaupt eine Chance hatte. Während die Väter der anderen Jungen Traktor fuhren und Bier tranken, las sein Vater griechische Lyrik und ließ Ruperts Freunde nachsitzen. Mr. Carr war ein beliebter Schulleiter gewesen – der beliebteste, den die Schule je hatte –, aber das hatte Rupert nichts genützt, der von Natur aus intellektuell und gleichzeitig unsportlich und schüchtern war. Die Jungs hatten ihn verachtet, die Mädchen hatten ihn ignoriert. Allmählich hatte Rupert ein defensives Stottern und eine Vorliebe fürs Alleinsein entwickelt.
Dann, mit ungefähr dreizehn, hatte er sich zu einem hübschen Jungen entwickelt, und damit war alles nur noch schlimmer geworden. Plötzlich stiegen ihm die Mädchen nach und machten ihm kichernd unsittliche Anträge; mit einem Mal starrten die anderen Jungs ihn neidvoll an. Aufgrund seines guten Aussehens ging man davon aus, dass er mit jedem Mädchen schlafen konnte, das er haben wollte, dass er das tatsächlich bereits tat. Fast jeden Samstagabend ging Rupert mit irgendeinem Mädchen ins Kino, saß mit ihr hinten und legte für alle sichtbar den Arm um sie. Am Montag darauf kicherte sie dann hysterisch mit ihren Freundinnen, klimperte mit den Wimpern und ließ Andeutungen fallen. Ruperts Ruf wuchs und wuchs. Zu seinem Erstaunen verriet keines der Mädchen je, dass über einen Gutenachtkuss hinaus nie etwas lief. Mit achtzehn hatte er sämtliche Mädchen der Schule ausgeführt und war noch immer Jungfrau.
Er hatte gehofft, in Oxford würde sich alles ändern. Er würde sich einfügen. Eine andere Art von Mädchen kennen lernen, alles würde gut. Nach einem Sommer am Strand war er gebräunt und fit dort eingetroffen und hatte sofort Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mädchen hatten sich um ihn geschart, intelligent, charmant. Eben die Art von Mädchen, nach denen er sich immer gesehnt hatte.
Bloß, dass er sie nun, da er sie haben konnte, nicht mehr wollte. Er fühlte sich zu all den Mädchen mit ihrer hohen Stirn, ihrer wippenden Frisur und ihren intellektuellen Neigungen einfach nicht hingezogen. Die Männer waren es, die ihn in Oxford faszinierten. Die Männer. In den Vorlesungen starrte er sie verstohlen an, beobachtete sie auf der Straße, rückte in Pubs näher an sie heran. An geschniegelte Jurastudenten in Westen, französische Studenten in Doc Martens mit Kurzhaarschnitten. Mitglieder der Dramagruppe, die nach der Vorführung in den Pub drängten, Make-up trugen und einander spielerisch auf die Lippen küssten.
Gelegentlich sah einer dieser Männer auf, bemerkte Ruperts Blick und lud ihn ein, sich dazuzugesellen. Ein paarmal wurde er sogar offen angemacht. Aber jedes Mal wich er voller Entsetzen zurück. Er konnte doch nicht schwul sein. Das war unmöglich.
Doch am Ende seines ersten Jahres in Oxford war er noch immer Jungfrau und einsamer denn je. Er hatte sich keiner speziellen Clique angeschlossen, er hatte keine Freundin, keinen Freund. Auf Grund seines Aussehens hielten seine Kommilitonen seine Schüchternheit für Unnahbarkeit. Sie setzten bei ihm ein Selbstvertrauen und eine Arroganz voraus, die er nicht besaß, nahmen an, sein gesellschaftliches Leben fände außerhalb des Colleges statt, ließen ihn in Ruhe. Am Ende des Sommertrimesters verbrachte er die meisten Abende damit, alleine auf seinem Zimmer Whisky zu trinken.
Und dann schickte man ihn für einen Tutorenkurs zu Allan Kepinski, einem amerikanischen Gastdozenten am Keble College. Sie diskutierten Paradise Lost und redeten sich im Laufe des Nachmittags immer heißer. Am
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