Die Heiratsschwindlerin
von seinem Vorleben. Von Allan. Er hatte niemandem etwas davon erzählt. Nicht Francesca, nicht Tom, nicht dem Pfarrer. Nein, nicht einmal Gott.
Bei ihrer Ankunft wartete Tom schon an der Tür. Wie Rupert und Charlie trug er seine Arbeitskleidung – einen gut geschnittenen Anzug, ein Hemd von Thomas Pink, eine Seidenkrawatte. Alle Männer der St.-Catherine’s-Gemeinde waren im gleichen Stil gekleidet, bevorzugten die gleichen Haarschnitte, dieselben goldenen Siegelringe. An Wochenenden trugen sie alle Chinos und Hemden von Ralph Lauren oder aber Tweedanzüge für die Jagd.
»Rupert! Schön, dich zu sehen. Alles für die Lesung bereit?«
»Selbstredend!«, erwiderte Rupert.
»Brav.« Tom lächelte Rupert an, und Rupert spürte ein leichtes Kribbeln. Das gleiche Kribbeln, das er schon bei ihrer ersten Begegnung empfunden hatte. »Ich hoffe, du wirst bei der nächsten Bibelstunde der Kollegen auch eine Lesung halten, wenn’s recht ist?«
»Natürlich«, sagte Rupert. »Was soll ich machen?«
»Darüber reden wir später«, sagte Tom. Wieder lächelte er und ging dann weiter – und lächerlicherweise verspürte Rupert einen leichten Stich der Enttäuschung.
Vor ihm begrüßten Francesca und Sue Freundinnen mit herzlichen Umarmungen; Charlie schüttelte einem alten Schulfreund kräftig die Hand. Wohin er auch blickte, von überall strömten gut gekleidete Angehörige der höheren Berufsklassen herbei.
»Ich habe einfach Jesus gefragt«, hörte er eine Stimme hinter sich. »Ich habe Jesus gefragt, und tags darauf bin ich aufgewacht und hatte die Antwort fertig ausformuliert im Kopf. Also bin ich zurück zu meinem Mandanten gegangen und habe …«
»Ich weiß einfach nicht, warum diese Leute sich nicht beherrschen können!«, rief Francesca gerade aus. Ihre Stimme klang scharf, und ihre Augen glänzten leicht. »Die vielen allein erziehenden Mütter, die nicht die Mittel haben, sich allein durchzubringen …«
»Andererseits musst du auch mal an die Verhältnisse denken, aus denen sie stammen«, erwiderte eine blonde Frau in einem Armani-Blazer. Sie lächelte Francesca kühl an. »Sie brauchen unsere Unterstützung und unsere Führung. Nicht unsere Verdammung.«
»Ich weiß«, murmelte Francesca. »Aber leicht fällt mir das nicht.« Unbewusst fuhr sie sich über den flachen Bauch, und Rupert wurde von einer Woge des Mitleids für sie erfasst. Er eilte vor und küsste sie auf den Nacken.
»Keine Sorge«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Wir bekommen schon noch ein Kind, wart’s nur ab.«
»Aber was ist, wenn Gott nicht möchte, dass ich eines bekomme?« Francesca wandte sich zu ihm um und sah ihm in die Augen. »Was dann?«
»Er möchte es.« Er versuchte, selbstsicher zu klingen. »Davon bin ich überzeugt.«
Francesca seufzte und wandte sich wieder ab, und in Rupert stieg leichte Panik auf. Er kannte die Antworten nicht. Wie konnte er? Er war weniger lange wiedergeborener Christ als Francesca, war weniger bibelfest als sie und besaß nicht so einen hohen Universitätsabschluss wie sie. Ja, verdiente sogar weniger als sie. Und dennoch beugte sie sich ständig seinen Wünschen. Bei der Trauungszeremonie hatte sie auf ihrem Versprechen bestanden, ihm zu gehorchen; sie wandte sich in allem Rat suchend an ihn.
Allmählich zerstreute sich die Menschenmenge und nahm auf den Kirchenbänken Platz. Einige knieten, einige blickten erwartungsvoll nach vorn, einige plauderten noch. Viele hielten für die Kollekte schon brandneue Banknoten in der Hand. So viel Geld, wie bei jedem Gottesdienst in der St. Catherine’s Church zusammenkam, nahmen sie in der kleinen Kirche in Cornwall, die Rupert als Junge besucht hatte, im ganzen Jahr nicht ein. Die Gemeindemitglieder hier konnten sich Großzügigkeit leisten, ohne sich in ihrem Lebensstil einschränken zu müssen. Sie fuhren immer noch teure Autos, aßen in den besten Restaurants, gönnten sich kostspielige Urlaubsreisen. Sie waren die Traumkundschaft der Werbebranche schlechthin, dachte Rupert. Wenn die Kirche ihnen Wandflächen für Werbezwecke verkaufen würde, könnte sie damit ein Vermögen machen. Unwillkürlich musste er grinsen. Diese Bemerkung hätte auch von Allan stammen können.
»Rupert!« Toms Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Komm und setz dich mit nach vorn.«
»Hast recht«, erwiderte Rupert. Er setzte sich auf den für ihn vorgesehenen Stuhl und sah auf die Gemeinde ihm gegenüber. Vertraute Gesichter erwiderten seinen Blick, ein paar
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