Die heiße Nacht auf den Bahamas
ich."
"Ihre
Großmutter?"
Er
nickte. "Mein Dad war der Meinung, ich brauchte jemanden, der
meine Mutter ersetzte. Deshalb holte er meine Großmutter aus
Frankreich hierher. Sie hat nie auch nur ein Wort Englisch gelernt."
Er lächelte bei der Erinnerung an sie. "Ich
kann immer noch hören, wie sie schrie: 'Ne
t'assois pas sur le canapé avec ton maillot de bain mouillé. '"
"Was
heißt das?"
"Setze
dich mit deiner nassen Badehose nicht aufs Sofa." Er lachte,
dann nahm er einen Schluck Champagner und fragte: "Was ist mit
Ihnen? Haben Sie Brüder oder Schwestern?"
"Nein.
Ich bin auch ein Einzelkind." Trotzdem hatte sie sich nie allein
gefühlt. Shanville war eine kleine Stadt mit vielen malerischen
viktorianischen Häusern, einem Kaufhaus und einer Main Street –
der Hauptstraße – an der die wichtigsten Geschäfte
lagen, in denen man alles zu bekommen schien, was man sich nur
wünschen konnte. Nahezu jeder, der nicht dort arbeitete, war bei
Demion Mills angestellt. Cassie wohnte immer noch in dem Haus, in dem
sie aufgewachsen war, nicht weit weg von der Main Street und der
Weberei. Cassie hatte das Gefühl, ihre Kollegen, Kolleginnen und
Nachbarn waren ihre Familie. Diese Menschen kannten sie, seit sie
geboren worden war. Diese Menschen hatten sie durch gute und
schlechte Zeiten begleitet, und sie arbeiteten genau wie sie in der
Weberei.
Sie
bedienten die alten Webstühle mit Sorgfalt und Liebe und
produzierten edle Stoffe, die eintausend Dollar und mehr pro Meter
kosteten. Sie waren stolz auf ihre Arbeit und darauf, den Stoff nicht
nur für einen, sondern für drei Präsidentenstühle
gewebt zu haben. Aber nicht nur die Präsidenten profitierten von
ihrem fachmännischen Können. Ihre Stoffe schmückten
die Häuser von Reichen, von Berühmtheiten, von Königen
und von Königinnen in der ganzen Welt. Und auch die Yacht eines
Millionärs auf den Bahamas.
"Sind
Sie fertig?" fragte er gelassen.
Mit
einem Mal würde Cassie bewusst, dass sie verdrossen auf ihren
Teller starrte. Wahrscheinlich wollte der Barkeeper sie endlich
loswerden. Nimm dich zusammen, befahl sie sich. Hör auf, an die
Weberei zu denken. "Ja", antwortete sie.
Er
reichte ihr die Hand. "Kommen Sie. Es ist Zeit für das
Dessert."
2.
Kapitel
Cassie
ergriff die Hand des Barkeepers und stand auf. Dann führte er
sie von der Yacht zurück auf den Anlegesteg.
"Wo
gehen wir hin?"
"Ich
möchte Ihnen ein tropisches Erlebnis schenken." Als sie das
Ende des Hafens erreicht hatten, sagte er: "Ziehen Sie sich die
Schuhe aus."
"Bitte?"
"Vertrauen
Sie mir."
Sie
verstand zwar nicht, weshalb sie sich die Schuhe ausziehen sollte,
aber sie streifte sie ab und folgte dem Barkeeper. Er ging zu einer
Palme und schüttelte sie. "Was tun Sie denn da?"
fragte sie, doch in diesem Augenblick fiel eine Kokosnuss in den
Sand.
Er
hob sie auf und sagte: "Ich weiß doch, wie sehr Sie Piña
Coladas mögen." Prüfend klopfte er mit der Kokosnuss
gegen den Stamm der Palme. Dann holte er ein Taschenmesser heraus,
bohrte mit dem Korkenzieher ein Loch in die Schale und bot sie Cassie
an. "Nimm einen Schluck."
Cassie
kam es nur natürlich vor, dass er sie duzte. Sie hob die braune,
haarige Frucht an die Lippen und trank etwas von der süßen
klaren Flüssigkeit.
"Schmeckt
es dir?"
Sie
nickte und gab ihm die Kokosnuss zurück.
Er
trank den Rest der Flüssigkeit. Dann knackte er die Nuss und
schnitt mit seinem Taschenmesser ein Stück des Fruchtfleisches
heraus. "Nachtisch", erklärte er und hielt ihr das
Stückchen an die Lippen, als würde er sie mit Süßigkeiten
füttern.
Cassie
biss etwas davon ab. Es war ein so überwältigend sinnliches
Erlebnis, dass sie beinahe vergaß, auf den Geschmack zu achten.
"Gut?"
fragte er und kam noch einen Schritt näher. Sie standen jetzt so
dicht beieinander, dass sie seinen Atem auf der Stirn fühlte.
"Ja.
Hier ist irgendwie alles wunderschön", sagte Cassie. "Aber
warum habe ich meine Schuhe ausziehen müssen?"
Er
nahm ihre Hand und führte Cassie zum Wasserrand. Das warme,
sandige Wasser umspülte ihre Zehen.
"Damit
du das spürst", sagte er und wies mit dem Kinn auf ihre
Füße.
Sie
lachte. Dann griff sie nach der Kokosnuss und hielt sie gegen den
Mond.
"Was
tust du da?" wollte er wissen.
"Ich
denke, das würde ein großartiges Bild ergeben. Eine
Kokosnuss, die das Mondlicht ausblendet und von einem Strahlenkranz
umgeben ist."
"Soll
ich deine Kamera holen?"
"Nein",
erwiderte sie. In diesem Augenblick wollte sie
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