Die heißen Kuesse der Revolution
einige Schritte vor ihnen stehen blieb und Julianne ihren entschlossenen Gesichtsausdruck erkennen konnte, wurde ihr bewusst, was sie an dieser Frau so faszinierte. Es war ihr absolutes Selbstvertrauen. Sie war überzeugt, dass Lady Catherine niemals auch nur eine Nuance entging.
„Das ist also diese Radikale die du aus dem Tower gerettet hast“, fragte sie mit frostigem Unterton.
„Mutter“, erwiderte Dominic bittend. „Julianne Greystone hat mir das Leben gerettet. Sie hat mich in Cornwall wochenlang ganz allein wieder gesund gepflegt, ohne die Unterstützung eines einzigen Dienstboten.“
Catherine musterte Julianne. Ihr Lächeln war kühl und reichte nicht bis zu den Augen. „Dann stehe ich in Ihrer Schuld, Miss Greystone. Willkommen in meinem Haus.“
Julianne rang um Haltung. Dominic hatte praktisch dasselbe gesagt, aber seine Stimme hatte wenigstens ein bisschen warm und einladend geklungen. Lady Catherine aber meinte nichts von dem, was sie sagte, ehrlich. Julianne war überzeugt, dass diese Frau sie vom ersten Blick an hasste. „Vielen Dank.“
Lady Catherine betrachtete Julianne herablassend, als ob sie etwas völlig Unpassendes gesagt hätte.
Julianne wollte dieser Frau nicht so schmutzig und mit zerschlissenen Kleidern gegenüberstehen müssen. Sie war so müde und erschöpft, außerdem war ihr furchtbar kalt. Der riesige Saal schien sich um sich selbst zu drehen und wieder sah sie all die schrecklichen Bilder vor sich. Wie sie unter ihrem eigenen Bett hervorgezogen wurde, wie die Wachen sie lüstern anstarrten, wie sie sich an die Gitterstäbe ihrer Zelle klammerte und den Wachtmeister anflehte.
„Du wirst ja schon wieder ohnmächtig!“, rief Dominic und fasste sie unter den Achseln.
Julianne hing vollkommen benommen in seinen Armen, dennoch entging ihr nicht der harte, ablehnende Blick seiner Mutter. „Ich muss gehen. Mir passiert schon nichts. Ich sollte gar nicht hier sein“, japste sie.
„Ich werde nicht zulassen, dass du irgendwohin gehst“, erwiderte Dominic und zog sie mit sich durch die Halle. „Schick mir eine Magd mit einem sauberen Kleid“, rief er Gerard über die Schulter zu, „und mit etwas zu essen und einer Flasche Brandy.“
Julianne sah in die erstaunten Gesichter der Dienstboten und schloss verschämt die Augen. Sie drückte eine Wange an seine Brust. „Sie wissen alle Bescheid.“
„Kein Mensch weiß irgendwas. Du bist sehr krank, und ich bin sehr besorgt um dich, das ist alles. Schließlich hast du dich damals um mich gekümmert, und jetzt werde ich mich um dich kümmern.“
Julianne war vom Schwindel benommen. Dennoch sah sie die große Wendeltreppe mit dem roten Läufer sowie mehrere ineinander übergehende Salons, deren Türen offen standen. Schemenhaft konnte sie die prunkvollen Möbel darin erahnen. In einem Salon stand offenbar ein großer Flügel. Sie hatte seit Jahren nicht mehr Klavier gespielt. Sie zuckte zusammen.
„Was ist los?“, fragte Dominic besorgt.
„Wir mussten unser Klavier verkaufen, als ich dreizehn war. An dem Tag habe ich furchtbar geweint.“ Bin ich denn wahnsinnig geworden, fragte sie sich. Wieso um alles in der Welt erzähle ich ihm so etwas?
Er brachte sie in ein wunderschönes Schlafgemach. Die Tapeten an den Wänden waren weiß und rosa und schimmerten freundlich. Dominic legte Julianne auf ein Himmelbett. Unweit des Fensters standen ein Sofa mit seidenen Nadelstreifen und einige rote Stühle mit Blumenmustern auf einem Aubussonteppich. Der Sims über dem Kamin war aus Marmor. Dominic setzte sich neben Julianne und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
Sein Lächeln war zärtlich, doch seine Stimme ernst. „Du hast Fieber, Julianne.“
Tatsächlich war ihr immer noch kalt. Sie spürte, wie er ihr die Schuhe abstreifte. „Was tust du da?“
„Ich will die Decke über dich ausbreiten“, sagte er, „aber nicht, solange du diese dreckigen Kleider trägst.“ Er warf beide Schuhe auf den Boden und begann, ihre zerrissenen und schmutzigen Strümpfe herunterzurollen.
Sie wollte dagegen Einspruch erheben, aber sie brachte einfach nicht die Kraft dazu auf. Vollkommen erschöpft sank sie zurück auf ein Dutzend Kissen, während er die Strümpfe beiseite warf. Plötzlich bemerkte sie, dass sie nicht allein in der Kammer waren. In der Tür standen eine junge Magd mit weit aufgerissenen Augen sowie Lady Catherine, die alles mit kühlem Blick beobachtete.
„Ich denke, das Entkleiden sollte besser Nancy
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