Die heißen Kuesse der Revolution
auf Julianne gewartet haben. Ihre Schwester blickte sie angespannt und traurig an. Julianne glaubte, auch einen gewissen Vorwurf in ihren Augen zu erkennen.
Man hatte sie ertappt.
„Julianne? Ich bin vor einer halben Stunde aufgestanden. Du warst nicht da. Ich habe in der Bibliothek nach dir gesucht. Wo bist du gewesen?“
„Es ging mir nicht gut“, sagte sie schnell, während ihr Puls raste. Sie hasste es, ihre Schwester anlügen zu müssen. „Mir ist fast die ganze Nacht schlecht gewesen. Wahrscheinlich habe ich etwas Falsches gegessen.“ Sie hielt sich den Bauch und starrte ihre Schwester atemlos an. Ängstlich erinnerte sie sich daran, dass sie sich nicht zu krank stellen durfte, sonst würde Amelia ihr verbieten, mit Charles in der Bucht zu frühstücken.
Amelia musterte sie fragend. „Vielleicht solltest du dich besser wieder zu Bett begeben“, sagte sie endlich.
„Ich glaube, es geht langsam wieder“, erwiderte Julianne. „Ich ziehe mich an und komme gleich hinunter.“
Amelia ergriff einen Schal, schlang ihn Julianne um die Schultern und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
Dominic hatte das Haus mal wieder für sich. Amelia war mit der alten Mrs Greystone ausgefahren, nachdem sie Julianne für eine dringende Besorgung in das Dorf St. Just geschickt hatte. Julianne hatte ihm versprochen, in spätestens zwei Stunden wieder zurück zu sein, um sich rechtzeitig zu ihrem Stelldichein in der Bucht einzufinden.
Da er das Haus schon mehrmals durchsucht hatte und mit Ausnahme von Jacks See- und Landkarten nichts Interessantes gefunden hatte, blieb ihm nichts anders übrig, als zu lesen. Die mit einem X gekennzeichneten Punkte auf Jacks Karten hatten sich als Höhlen entpuppt, in denen er geschmuggelte Brandy-Fässer versteckte. Mehr nicht.
Gestern hatte Dominic die Pferde im Stall begutachtet, doch weder der Wallach noch die alte Mähre, die dort untergestellt waren, schienen einen Ritt nach London bewältigen zu können. Er würde mit dem Wallach nach St. Just reiten, um ihn dort gegen ein geeigneteres Tier aus den Stallungen seines alten Freundes einzutauschen. So konnte er wenigstens dafür sorgen, dass die Familie Greystone ihren Wallach zurückbekam. Julianne würde natürlich annehmen, dass er ein Schiff nach Frankreich bestiegen hatte.
Er musste es zugeben, dass er die Zeit mit ihr genossen hatte und sie vermissen würde.
Julianne hat ihn gebeten, noch ein paar Tage zu bleiben. Eigentlich war er entschlossen, sich darauf nicht einzulassen. Er war wieder gesund und bei Kräften. Ohne Julianne würde er sich hier auf dem Lande zu Tode langweilen. Und tatsächlich konnte er es kaum erwarten, sich im Geheimen in London mit gut informierten Männern wie Sebastian Warlock und William Windham zu treffen. Außerdem sehnte er sich nach den angenehmen Dingen des Lebens, die er schon in Frankreich entbehren musste. Er freute sich auf die extravaganten Restaurants der Stadt, auf verschwenderische Mahlzeiten und elegante Weine, auf seine maßgeschneiderte Kleidung und natürlich die luxuriöse Einrichtung seines Hauses in Mayfair.
Sein Zuhause. Dominic konnte es kaum erwarten, es wiederzusehen. Seit anderthalb Jahren war er dort nicht mehr gewesen.
Aber dann hatte er Juliannes Bitte doch nicht ablehnen können. Obwohl er es vorhatte, waren seinem Mund ganz andere Worte entschlüpft: Ja, ich werde noch ein paar Tage bleiben.
In der Spionage gab es eine ganze Reihe ungeschriebener Gesetze. Sich daran zu halten, sicherte das Überleben, das hatte er auf brutale Weise erfahren, als er dem Tod in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen war. Die wichtigste Regel aber hatte ihm der Leiter des Spionageringes, Sebastian Warlock, eingebläut: Lasse dich niemals auf gefühlsmäßige Bindungen ein . Denn solche Bindungen machten verwundbar.
Dominic wusste es aus eigener Erfahrung. Als er vor anderthalb Jahren nicht herausfinden konnte, was seiner Mutter Catherine und Nadine in Frankreich zugestoßen war, war er in Panik verfallen und beinahe handlungsunfähig geworden. Dass es dennoch gelang, seine Mutter aufzuspüren und sie unbeschadet außer Landes zu schaffen, kam in Anbetracht seines Zustands einem Wunder nahe.
Nun hatte er sich doch wider besseres Wissen auf Julianne eingelassen. Er freute sich über die Zeit, die sie miteinander verbrachten und über die Zärtlichkeiten, die sie miteinander austauschten. Aber er hoffte inständig, dass er nur ihre Gegenwart und ihre Fürsorge genoss, weil sie
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