Die heißen Kuesse der Revolution
nun einmal da war. Für sie selbst durfte er nichts empfinden.
Aber wie es auch sei, nach seiner Abreise würde er jeden Kontakt zu ihr abbrechen. Damit wäre die Angelegenheit erledigt. Vielleicht könnte er ihr eines Tages, wenn der Krieg vorbei und er noch am Leben war, einen Besuch abstatten, um zu sehen, dass auch sie alles überlebt hatte und nun eine glücklich verheiratete Mutter mit vielen Kindern war.
Dominic öffnete die Türen zur Terrasse und blickte hinaus auf den Atlantischen Ozean, der sich so weit erstreckte wie das Auge reichte. Die Sonne drang kaum durch den dichten Dunst, wodurch das Meer jenes eintönige Grau annahm, an das er sich inzwischen gewöhnt hatte. Man konnte unmöglich feststellen, wo die See aufhörte und der Himmel begann.
Manche mochten diese Aussicht als majestätisch betrachten, für ihn war sie von unerträglicher Trostlosigkeit.
Dominic goss sich ein Glas Brandy ein. Die Familie Greystone hielt einen ganz ausgezeichneten französischen Branntwein bereit, womöglich der beste, den er je gekostet hatte. Dominic setzte sich, um ein bisschen in The British Sun zu lesen. Es war eine neue Zeitung, die von der britischen Regierung finanziert wurde. Dominic hatte sich gerade in einen Artikel über die jüngsten Erfolge der Gesellschaft für Aufrechterhaltung von Freiheit und Grundeigentum gegen die Umtriebe von Republikanern und Gleichmachern versenkt, als er hörte, wie die Haustür zugeschlagen wurde.
Die Tür zur Bibliothek, von der man auf die Terrasse hinaustreten konnte, stand weit offen, und Dominic erwartete, Julianne in der Eingangshalle zu erblicken, obwohl seit ihrem Aufbruch kaum eine Stunde vergangen war. Doch bevor jemand in seinem Blickfeld erschien, hörte Dominic schwere Schritte von Stiefeln in der Eingangshalle. Er stand alarmiert auf und ließ den Durchgang zur Halle keine Sekunde aus den Augen. Der Waffenschrank der Bibliothek war zu weit entfernt. In einer Schublade unter dem Waffenschrank befand sich ein Degen. Dominic überlegte gerade, ob er rasch dorthin laufen und den Degen holen sollte, als ihm einfiel, dass niemand außer Lucas oder Jack Greystone das Haus betreten würde, ohne anzuklopfen.
Die Schritte näherten sich. Ein großer, breitschultriger Mann mit goldblondem Haar und stahlgrauen Augen trat durch die Türschwelle. Er trug einen Gehrock, Kniehosen und Stiefel und musterte Dominic scharf, während er seine Lederhandschuhe abstreifte. Dann blickte er in die Bibliothek. Als er sah, dass sonst niemand anwesend war, lächelte er zufrieden. „Wie ich sehe, haben Sie meinen Brandy entdeckt, Mr Paget“, sagte er. „Lucas Greystone, Mylord, zu Ihren Diensten.“
Dominic war zu entsetzt, um überrascht zu sein. Woher konnte Juliannes Bruder wissen, wer er in Wirklichkeit war? „Ich glaube, da muss ein Fehler vorliegen, Monsieur “, äußerte er geschwind mit starkem französischem Akzent.
„Ihre Tarnung können Sie beiseitelassen“, erwiderte Lucas rundweg und schloss die Tür hinter sich. „Ich gehe davon aus, dass sonst niemand im Haus ist?“
„Es ist niemand hier“, antwortete Dominic ohne jeden Akzent.
„Gut.“ Lucas lächelte höflich. Er war offenbar ein sehr kühler Mann mit großer Selbstbeherrschung. „Sebastian hat mich letzten Monat nach Frankreich geschickt, um Sie dort herauszuholen, und nun schickt er mich, um Sie nach London zu bringen. ‚Er hat jetzt lange genug Urlaub gehabt‘, waren seine genauen Worte. Mylord, man erwartet Sie dringend im Kriegsministerium.“
Die Anspannung löste sich langsam. Dominic lächelte. Die Worte klangen in der Tat ganz nach Sebastian Warlock. Aber wenn Lucas Greystone von Sebastian Warlock nach Frankreich geschickt worden war, um Dominic zu retten, konnte es sich bei Juliannes Bruder kaum um einen gewöhnlichen Edelmann vom Lande handeln. „Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Greystone. Ihren Brandy werde ich selbstverständlich mit Vergnügen ersetzen. Ich lasse ihn mir jetzt seit etwa einer Woche schmecken.“
„Denken Sie nicht daran, das Vergnügen ist ganz meinerseits.“ Er streckte seine Hand aus, und Dominic schüttelte sie. „Wie ich höre, haben Sie Julianne ganz bezaubert.“
Amelia musste ihm geschrieben haben, dachte Dominic. Sie war erbost, dass Julianne so viel Zeit mit ihm verbrachte. Er verzog keine Miene, konnte jedoch auch nicht erkennen, was im Kopf des anderen Mannes vorgehen mochte.
„Als ich aus dem Fieber erwachte, konnte ich mich nicht daran erinnern,
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