Die heißen Kuesse der Revolution
wollte, sollte sie jeden Schritt sorgfältig abwägen. „Was glaubst du, werden sie mit ihm tun? Werden sie einen bezahlten Mörder herüber schicken?“ Julianne erschauerte bei dem Gedanken daran.
„Das bezweifele ich. Aber wahrscheinlich haben sie genügend Spione in der Stadt, die ihn nicht aus den Augen lassen werden. Jedenfalls wäre das das Mindeste, was ich tun würde. Und falls er tatsächlich nach Frankreich zurückkehrt“, Tom lächelte vielsagend, „ist diese Information ein Geschenk des Himmels!“
Julianne wäre beinahe in Tränen ausgebrochen. Sie wandte sich ab, damit Tom ihre Verzweiflung nicht sah.
„Geht es dir gut?“, fragte er sanft.
Wenn sie jetzt nicht aufpasste, würde sie ihm weinend in die Arme sinken. Julianne riss sich mühevoll zusammen. „Sicher.“
Tom musterte sie genau. „Wie bist du eigentlich hinter seine Tarnung gekommen? Er hat sie dir doch bestimmt nicht freiwillig gebeichtet.“
Julianne war gewarnt. Sie hatte Dominic bereits unbedacht in Gefahr gebracht. Mit Lucas durfte ihr das auf keinen Fall passieren. „Ich habe gehört, wie er vollkommen akzentfrei mit unserem Stalljungen sprach“, log sie. „Ich war so aufgebracht, dass ich ihn sofort zur Rede stellte. Er konnte die Wahrheit nicht abstreiten.“
„Aber woher weißt du, dass er der Earl of Bedford ist?“, hakte Tom nach.
Julianne erstarrte. Aber dann erinnerte sie sich an ihre letzte Unterhaltung. „Er hat es selbst eingeräumt“, antwortete sie zitternd. „Er hat es zugegeben und mir dann befohlen, sein Geheimnis zu wahren.“
Tom schien die Erklärung schlüssig. „Weißt du, wie lange er in Frankreich für Pitt spioniert hat?“
„Nein.“ Julianne ließ sich in einen der Stühle vor seinem Schreibtisch sinken. Plötzlich merkte sie, wie erschöpft sie war. Schließlich hatte sie zunächst Amelia gebeichtet, dass sie Liebende gewesen waren, und nun hatte sie Tom nicht nur Dominics wahre Identität verraten, sondern auch noch, dass er ein Spion war.
Tom legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie sah zu ihm auf und lächelte. „Ich kann jetzt keine weiteren Fragen mehr beantworten, jedenfalls nicht heute.“
„Du hast ihn sehr ins Herz geschlossen“, sagte er langsam. „Ich war so überwältigt von der Tatsache, dass er ein Spion ist, dass ich völlig übersehen habe, wie du dich jetzt fühlen musst.“
„Bitte nicht. Mir geht’s gut.“
„Das glaube ich dir nicht. Seine Überzeugung zu verraten, ist eine Sache, aber einen Menschen zu hintergehen, eine ganz andere.“
„Du hast recht, ich bin wütend und verletzt, weil ich dachte, dass wir Freunde geworden wären, aber das wird wieder vorbeigehen.“
Tom schwieg einen Moment. Schließlich sagte er vorsichtig: „Du hast ihn nicht so angesehen, als wäre er ein guter Freund, sondern der Prinz, von dem du immer schon geträumt hast.“
Julianne zuckte zusammen.
„Du bist verliebt in ihn, nicht wahr?“
Julianne konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Ja.“
„Gott verfluche ihn“, zischte Tom zornig. „Ich wusste es! Aber ich werde dafür sorgen, dass Bedford bekommt, was er verdient. Er wird den Tag bedauern, an dem er dir seine wahre Identität offenbarte.“
Julianne sprang auf. „Vielleicht sollten wir uns lieber nicht einmischen und diese Kriegsspiele denjenigen überlassen, die etwas davon verstehen!“
Tom sah sie fassungslos an. „Aber du musst doch wollen, dass er seine gerechte Strafe bekommt?“
„Ich weiß nicht mehr, was ich will!“, schluchzte Julianne.
Dominic lächelte selig, als sie die hohen gotischen Spitztürme von Westminster Abbey passierten und die Ausdünstungen des unter der Sommersonne brütenden London einatmeten. „Herrgott, wie sehr habe ich diese Stadt vermisst.“
Lucas hielt sich ein Tuch vor die Nase. „Anderthalb Jahre sind eine lange Zeit.“
Die Kutsche rumpelte weiter über das grobe Pflaster. Dominic hatte Lucas nichts von seinem Auftrag in Frankreich erzählt, dennoch kannten die beiden einander mittlerweile ganz gut. Sie waren seit zwei Tagen in der Kutsche unterwegs und hatten nur kurze Pausen eingelegt, um die Pferde zu wechseln und schnell etwas zu essen. Sie hatten sich über den Krieg, die Revolution und die letzten Neuigkeiten aus der Heimat unterhalten. Lucas Greystone war erstaunlich gut über die verschiedenen Kriegsverläufe auf dem Kontinent informiert, und selbst über die raschen Veränderungen der französischen Politik war er auf dem Laufenden. Dominic
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