Die heißen Kuesse der Revolution
vor, dass sie eine Debatte oder ein Journal so sehr fesselte, dass sie es einfach vergaß. Zuletzt hatte sie nur noch Dominic im Sinn gehabt, erst als sie ihn pflegte, dann, als sie ihn liebte und schließlich, als er ihr das Herz gebrochen hatte. Nun wollte sie nur noch nach London eilen, doch es war eigentlich Amelia, die diese Reise verdiente.
„Hast du dich auch so gefühlt“, fragte sie leise, „als der Earl of St. Just sich nicht mehr hier blicken ließ?“
Amelia wurde blass. Doch dann sprudelte es aus ihr heraus. „Ja, er hat mir das Herz gebrochen, aber ich bin nur eine Närrin gewesen, Julianne. Du bist zu jung, um dich daran erinnern zu können, aber alle Welt hat mich vor ihm gewarnt. Ich wollte nicht hören. Als wir uns begegneten, war Simon Grenville schließlich ein reicher Edelmann. Als sein Bruder starb, hätte mir sofort klar sein müssen, dass unsere Tändelei vorbei sein und er sich eine Debütantin angeln würde, die genauso blaublütig und privilegiert war, wie er selbst. Du aber warst nicht so dumm wie ich. Du wurdest hinterrücks ausgenutzt, mit voller Absicht belogen und betrogen und konntest nichts davon wissen.“
„Du solltest dennoch an meiner Stelle nach London fahren.“
Amelia schüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier und kümmere mich um Momma. Ich habe in London nichts verloren, Julianne, du aber schon. Ich möchte, dass Lucas dich zu Teegesellschaften mitnimmt, dass er mit dir durch den Park spaziert und dich gut aussehenden Gentlemen vorstellt. Er soll dich zu Abendgesellschaften mitnehmen, wo man dich um einen Tanz bitten oder dir den Hof machen wird.“
„Was?“ , japste Julianne erschrocken auf.
„Du bist so jung und so schön!“, ergänzte Amelia, „du darfst das Leben nicht an dir vorüberziehen lassen!“
„Aber Lucas verkehrt doch nicht in solchen Kreisen!“ Julianne sah Amelia fassungslos an. Ging das Leben etwa nicht an ihrer Schwester vorbei?
„Wenn es ihm gefällt, verkehrt er sehr wohl in solchen Kreisen. Onkel Sebastian kann uns jede Tür öffnen.“
„An den kann ich mich kaum noch erinnern. Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen.“
„Er und Lucas stehen einander aber recht nahe.“
„Willst du damit sagen, ich soll nach London fahren, damit Lucas einen geeigneten Bewerber für mich finden kann?“
„Warum nicht?“
„Ich will aber nicht …“
Amelia schnitt ihr das Wort ab. „Und wenn dir noch einmal jemand begegnen sollte, der dir ebenso den Kopf verdreht wie der Earl of Bedford?“
Julianne konnte Amelia nur noch mit klopfendem Herzen anstarren. Für diesen Mann hätte sie alles getan. Wenn er sie gebeten hätte, sie zu heiraten, hätte sie ohne Zögern ja gesagt, jedenfalls vor seiner Enttarnung.
„Das dachte ich mir.“ Amelia klang zufrieden.
„Was ich für ihn empfunden habe, werde ich nie wieder für einen anderen empfinden, liebe Amelia. Du brauchst jemanden, der dir den Hof macht, ich nicht.“
„Du wirst noch einem anderen interessanten Mann begegnen. Ich habe mich damit abgefunden, eine alte Jungfer zu werden. Schließlich muss sich irgendwer um Momma und dieses Haus kümmern.“
„Du sorgst doch schon seit mindestens einem Jahrzehnt für diese Familie. Du musstest die Matriarchin dieser Familie spielen, als du eigentlich noch ein sorgenfreies Mädchen sein solltest.“
„Wir waren nun einmal Kinder, als Momma krank wurde. Dafür kann sie nichts. Und selbst wenn ich beschließen sollte, mich nach einem Bewerber umzuschauen, mich will keiner mehr, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte. Ich bin zu ernst und zu schlicht.“
„Du bist doch nicht schlicht“, erwiderte Julianne, „obwohl du manchmal schon übertrieben ernst bist. Ach, ich weiß auch nicht, Amelia. Auf einmal fühle ich mich ganz schäbig, dass ich nach London reise.“
„Ich will, dass du fährst.“ Amelia setzte sich neben sie und schloss sie in die Arme. „Ich bestehe darauf! Und wenn du doch noch nach Edinburgh willst …“
„Nein!“ Julianne unterbrach sie. „Ich möchte Tom nicht ermutigen.“ Und das entsprach auch der Wahrheit.
Amelia betrachtete sie aufmerksam. Julianne hatte das Gefühl, dass ihre Schwester ganz genau wusste, warum sie so begierig darauf war, nach London zu reisen. Mit einer Versammlung zur Förderung der universellen Menschenrechte hatte das rein gar nichts zu tun.
„Mylord, die Dowager Countess bittet noch um ein wenig Geduld. Kann ich Ihnen etwas bringen, während Sie auf Lady Catherine
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