Die heißen Kuesse der Revolution
warten?“
Dominic schüttelte den Kopf und ging ungeduldig in der Eingangshalle auf und ab. Er war an diesem Tag in schwarzen Samt gekleidet, was sein Kammerdiener mit seiner Zustimmung ausgesucht hatte. Außerdem trug er sehr helle Kniehosen, weiße Strümpfe und schwarze Schuhe mit silbernen Schnallen. „Nein danke.“
Gerard ging wieder. Dominic sah ihm nach. Nadine war letzte Nacht in London eingetroffen, und sie wollten gleich aufbrechen, um ihr einen Besuch abzustatten.
Nadine war noch am Leben.
Er hatte eine Woche Zeit gehabt, um sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie noch lebte. Es war ein Wunder. In gewisser Weise stand er immer noch unter Schock. Aber vor allem war er überglücklich.
Sie war nicht von dieser Menschenmenge zu Tode getrampelt worden, wie seine Mutter fälschlicherweise angenommen hatte. Aber sie war während dieses Aufruhrs schwer verletzt und im letzten Moment von einer freundlichen Pariser Familie gerettet worden. Auch sie hatte etwa einen Monat gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Offenbar hatte sie einen vorübergehenden Gedächtnisverlust erlitten. Als sie wieder in der Lage war, die Situation zu erfassen, war ihre Familie bereits aus Frankreich geflohen. Dann hatte es noch eine Weile gedauert, bis sie einen Weg fand, ihrem jetzt in Großbritannien lebenden Vater einen Brief zukommen zu lassen. Nach Erhalt des Briefes hatte der Comte d’Archand sofort Sebastian Warlock ins Bild gesetzt. Und der hatte Leute geschickt, um Nadine aus Frankreich herauszuholen. Als sie im Frühling in London ankam, lebte ihre Familie bereits in Cornwall auf dem Land. Man hatte Nadine sofort zu ihm gebracht.
Während er sich in Greystone erholte, war Nadine gar nicht so weit weg von ihm gewesen. Sie hatte sich im selben Landstrich aufgehalten. Während er in Juliannes Armen lag, war Nadine quicklebendig und ganz in der Nähe.
Natürlich war Dominic voller Schuldgefühle. Sich in Erinnerung zu rufen, dass er davon absolut nichts wissen konnte, linderte die Sorgen nicht.
Aber was sollte er nun tun? Seine Beziehung zu Julianne war vorüber, auch wenn es sich für ihn nicht so anfühlte. Er hegte noch immer den Wunsch, sich mit ihr auszusprechen und sie davon zu überzeugen, dass er kein restlos verdorbener und gewissenloser Mensch war. Und wie mochte es Nadine gehen? Seit ihrer Verlobung waren zwei Jahre vergangen, und er war ein ganz anderer Mensch geworden.
Dominic blickte missmutig aus dem hohen Fenster, aber die Gärten draußen oder seine wartende Kutsche sah er gar nicht. Er kannte Nadine, seit er denken konnte. Seine Mutter hatte ihn seit jeher jeden Sommer mit nach Frankreich genommen, und Nadines Familie hatte regelmäßig London besucht. Dominic war quasi mit ihr aufgewachsen. Sie hatten gemeinsam gespielt, gemeinsam gelesen, ihre Ponys geritten und mit ihren Freunden und Vettern in den Weinbergen Verstecken gespielt. Er würde sie immer lieben.
Doch plötzlich musste er an all die leidenschaftlichen Augenblicke denken, die er mit Julianne geteilt hatte. Sein Körper verkrampfte sich sofort. Er begehrte Julianne noch immer, daran gab es keinen Zweifel, und zwar auf eine Weise, die ihn beinahe in den Wahnsinn trieb. Nadine hatte er in den Armen gehalten und sie nach der Verlobung geküsst. Aber niemals hatte er diese wilde Begierde für sie empfunden, die ihn an Julianne band.
Vielleicht würde diese unbändige Lust nach Julianne verschwinden, sobald er Nadine gegenübertrat. Dominic hoffte es und war sich dennoch nicht sicher.
Zwei Jahre waren eine lange Zeit. Sie konnten an seiner Zuneigung und seiner Loyalität zu Nadine nichts ändern, aber seine Verpflichtung hatten sie sehr wohl geändert. Er fühlte sich in der Pflicht, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um der Revolution in Frankreich ein Ende zu bereiten. Er fühlte sich verpflichtet, die frühere französische Lebensart wiederherzustellen. Er fühlte sich verpflichtet, den Royalisten an der Loire rechtzeitig die nötige Hilfe zukommen zu lassen und schließlich den Rest des Landes aus den Klauen der Jakobiner zu befreien.
Er hatte zu Julianne gesagt, sie dürfe nicht auf ihn warten.
Und nun hatte er keine andere Wahl, als genau dasselbe zu Nadine zu sagen. Sie verdiente so viel mehr, als er ihr bieten konnte! Sie verdiente einen liebenden Ehemann und ein ganz normales Leben.
„Dominic?“
Er drehte sich zu seiner Mutter um. Es gelang ihm, zu lächeln, als sie in rote Seide gekleidet und mit
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