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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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auf meine zweite Lebenshälfte blicken würde. Durch meine Antriebsarmut würde ich unterschwellig versuchen, mich selbst in einen Zustand der Langsamkeit zu versetzen, um mich nicht auf meinen nächsten Lebensabschnitt zubewegen zu müssen. Das war kompletter Quatsch, aber ich nickte freundlich, nahm das Rezept für die schwachen Antidepressiva (»Die haben keine Nebenwirkung, ich nehme sie selbst seit Jahren«) in Empfang und warf es draußen in den Mülleimer.
    Arzt Nummer zwei war eine Internistin. Sie hieß Frau Dr. Charlotte Löwenich-Harsfeld, und so sah sie auch aus. Sie maß als Erstes meinen Blutdruck, der etwas zu niedrig war, kombinierte haarscharf, dass dieser Unterdruck der Grund für meine Schlappheit sei, verschrieb mir entsprechende Tabletten und schickte mich nach nicht einmal drei Minuten in ihrem Behandlungsraum schon wieder in die Welt hinaus. Ich würde gerne wissen, wie viel sie für diese Nicht-Diagnose bei der Krankenkasse abgerechnet hat.
    Vier Wochen lang nahm ich die Tabletten, doch an meinem Zustand änderte sich nichts. Ich fühlte mich genauso schlapp und lustlos wie zuvor. Die Arbeit an Tod in der Vorstandsetage beendete ich in einem halbwachen Zustand.
    Susann ließ nicht locker und verschaffte mir einen Termin bei Dr. Pommerenke. Einem Urologen. Denn abgesehen von meiner generell trantütigen, ja fast schon koalabärmäßigen Anmutung störte sich Susann zunehmend an meinem fast verschwundenen Sexualtrieb. Ich fand es ja sehr schmeichelhaft, dass meine Frau nach all den Jahren Sex mit mir immer noch zu mögen schien und ihr meine körperliche Zuwendung fehlte, aber ich fühlte mich inzwischen nicht mehr in der Lage, mich dazu auch nur aufzuraffen.
    Dr. Pommerenke hörte sich mit erheblich mehr Geduld als Frau Dr. Löwenich-Harsfeld meine Geschichte an, nickte wissend und nahm mir Blut ab. Drei Tage später hatte ich einen zweiten Termin, bei dem er einen Zettel mit den Laborergebnissen hochhielt.
    »Sie haben akuten Testosteronmangel«, verkündete er.
    »Ich habe was?«, stammelte ich.
    »Ihnen fehlt das Hormon, das Männer zu Männern macht«, sagte der Doc und lächelte dabei. »Sie sind derzeit nur ein halber Mann.«
    Ich schluckte. »Kann man das auch etwas diplomatischer formulieren?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte Dr. Pommerenke. Und dann beugte er sich über seinen Schreibtisch zu mir herüber. Verschwörerisch nahezu. »Wenn sich jemand in der Schlange im Supermarkt vordrängelt«, sagte er. »Wie fühlen Sie sich dann?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Haben Sie nicht das Bedürfnis, ihn zu schubsen? Anzupöbeln? Ihm in die Fresse zu hauen?«
    »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    »Aber vor zehn Jahren«, fuhr er fort. »Da hätten sie sich so gefühlt, oder?«
    Ich dachte nach. Tatsächlich hatte ich in meinem Leben nur selten jemanden geschlagen. Einmal habe ich Sven in einem Wutanfall frontal die Faust ins Gesicht gerammt, was dazu geführt hat, dass wir jahrelang nicht mehr miteinander sprachen. Aber das war eine einmalige und obendrein volltrunkene Ausnahme. Im Normalfall war ich schon immer äußerst unaggressiv. Aber nur in der Realität. Nicht in meiner Phantasie. Da wimmelte es vor Prügeleien, Racheakten, heldenhaften Rettungen. In meinen Tagträumen befreite ich unentwegt wehrlose Frauen in U-Bahnen aus den Klauen brutaler Schläger, als Teenager hämmerte ich den Kopf meines Mathelehrers so lange gegen die Wand, bis ihm das Blut übers Gesicht lief, und während meiner politisch aktiven Phase habe ich gefühlte Hunderte von Politikern und Wirtschaftsbossen in ihre blutigen Einzelteile zerlegt. Ich schluckte. Wenn ich es mir eingestand, war ich in meiner Phantasie bis vor kurzem ein wahrer Dirty Harry gewesen. Gegen die Gewaltphantasien, die ich so mit mir herumschleppte, war CIA-Folterknecht Jack Bauer aus der TV-Serie 24 ein jammerlappiger Sozialpädagoge.
    Als hätte Dr. Pommerenke meine Gedanken gelesen, sagte er: »Da brauchen Sie kein schlechtes Gewissen zu haben. Im Gegenteil, das ist völlig normal. Das geht nahezu jedem Mann so. Testosteron ist ein Hormon, das den Krieger im Mann heraufbeschwört. Es aktiviert unsere Wut, unsere Energie, unseren Kampfgeist. Und unseren Sexualtrieb. Und wenn man zu wenig davon hat – und das kann in Ihrem Alter durchaus mal passieren –, dann wird man ein wenig …« Dr. Pommerenke rollte mit den Augen und machte eine ulkige, schwabbelige Bewegung mit den Armen. Er sah ein bisschen aus wie dieser hessische

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