Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Turnhallen, aber es war schnell klar, dass keiner »die beiden Schwulen« in seinem Team haben wollte. Jörn hatte gleich klare Verhältnisse geschaffen, indem er einem der anderen Männer von seinem Ehemann erzählt hatte. Der Typ (er hieß Sandro und hatte einen Dolch auf den Arm tätowiert, der angeblich das Symbol der Navy-Seals-Elitetruppe war, die er sehr bewunderte) hatte die Kunde vom homosexuellen Teilnehmer eiligst weitergetratscht. Wie ein Mädchen. Piet war halb pikiert und halb amüsiert, dass er offenbar automatisch und ohne jeden Zweifel als Jörns Lebensgefährte eingeordnet wurde. Er machte keinerlei Anstalten, den Irrtum richtigzustellen.
Dille dagegen nervte es, durch seine beiden Freunde in eine Außenseiterrolle gedrängt worden zu sein. Er legte Wert auf seine »Männlichkeit« und erwähnte seine Frau und seine Kinder so oft, dass er von den anderen Kriegsspielern zwar als eindeutig heterosexuell, aber auch als eindeutig bescheuert und nervig kategorisiert wurde. Dille, Piet und Jörn waren also auf Anhieb die Dödel im Club und wurden am Ende dem Geiselnehmerteam zugeteilt. Niemand traute den dreien offenbar einen effektiven Angriff zu.
Das Prinzip war folgendes: An diesem Abend würden die Geiselnehmer sich mit ihren Geiseln (drei Schaufensterpuppen, die jemand mitgebracht hatte) aufmachen und ein Versteck in dem weitläufigen Waldgebiet suchen. Dort würden sie zelten und übernachten. Die Angreiftruppe dagegen würde die Nacht am See nahe dem Parkplatz verbringen und erst am nächsten Morgen mit der Suche nach den anderen beginnen. Den Geiselnehmern stand es frei, ob sie das komplette Wochenende am selben Ort verharrten und sich dort eine Verteidigungsstrategie überlegten oder ob sie mit ihren Geiseln permanent in Bewegung blieben, um nicht entdeckt zu werden. Das Gebiet war allerdings nicht so verwildert und weitläufig, wie Dille es angekündigt hatte. Es war ein hübsches Naherholungswaldgebiet, in dem es sehr wohl Wege gab. Und Mülleimer. Und Sitzbänke. Und einen verwitterten, halb verfallenen Trimm-dich-Pfad.
Die drei Freunde erfuhren, dass solche Action-Wochenenden öfter im Jahr durchgeführt wurden und dass es eine Art Turnier war. Das Team, dem sie zugeteilt waren, hatte zwei von drei Einsätzen gewonnen und würde den Pokal als beste Einsatzgruppe Thüringen/Sachsen erhalten, wenn es auch diesmal wieder siegreich wäre. Die Aussicht auf eine derartige Ehrung war für die erfahrenen Kämpfer ganz offensichtlich eine ziemlich große Sache. Piet, Jörn und Dille waren sozusagen ins Endspiel der beiden besten Macho-Truppen geraten. Eigentlich hätten sie gar nicht hier sein dürfen, aber einer der Leute, die die Teilnahmeanträge bearbeiteten, hatte die drei Hamburger Jungs irrtümlich für registrierte Profikämpfer gehalten und fürs Wochenende eingetragen. Als der Irrtum bemerkt wurde, hatte Dille die Teilnahmegebühr bereits überwiesen, und es gab kein Zurück mehr – sehr zum Leidwesen der versierten Kriegsveteranen, die die unbedarfte, frontunerfahrene Unterstützung aus Hamburg eher lästig fanden.
Piet und Jörn war es nur recht, zu den Bösen zu gehören. Es klang erheblich bequemer, sich mit seinen Schaufensterpuppen irgendwo im Gebüsch zu verstecken, als stundenlang durch die Gegend zu latschen. Doch auch sie mussten am Anfang natürlich wandern und ein gutes Versteck auskundschaften. Gelegentlich auftauchende Spaziergänger mit Kindern und Hunden, die die ausgewachsenen Möchtegernmachos und ihre Schaufensterpuppen kopfschüttelnd musterten, trübten die Illusion eines lebensgefährlichen Dschungeleinsatzes allerdings erheblich.
Je zwei Männer trugen eine Schaufensterpuppe. Piet und Dille trugen eine männliche Geisel, der Piet zum Spaß eine Augenbinde um den Kopf gewickelt hatte. Jörn trug gemeinsam mit einem bulligen Glatzkopf namens Armin eine weibliche Plastikgeisel.
»Was sind das eigentlich für Geiseln?«, fragte Jörn Armin, während sie durch den Wald wanderten.
»Was meinst du?«, fragte Armin.
Jörn plapperte los: »Na, sind das Franzosen, Amis, UN-Blauhelme, christliche Missionare oder Rucksacktouristen? Und sind wir politisch motiviert oder nur auf Geld aus? Und wenn wir Südamerikaner sind, dann möchte ich bitte gern Miguel heißen. Das ist ein toller Name. Miguel. Hossa!«
Armin schüttelte irritiert den Kopf. Was redete dieses Würstchen da?
»Nee, im Ernst …«, hakte Jörn nach. Er hatte längst beschlossen, dieses Wochenende als
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