Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
niemand Anstalten, Platz auf dem Grill zu schaffen.
Jörn zuckte mit den Schultern und griff nach seinem Rucksack. »Egal«, sagte er. »Kein Problem. Möchte vielleicht jemand Schokolade? Ist ganz was Leckeres! Vollmilch-Zimt.«
* * *
Susann schaute Petra zu, wie sie ihren Sohn stillte. Der kleine Adrian war vor zehn Minuten aufgewacht und hatte plärrend nach Milch verlangt. Es kam Susann vor wie gestern, dass ihre Nele ein Baby war und gestillt wurde. Und jetzt ging ihre Tochter schon zur Schule. Nichts machte einem das rasche eigene Altern bewusster als ein Kind.
»Was unsere Männer jetzt wohl machen?«, überlegte Susann.
»Saufen«, sagte Petra. »Was sonst sollte ein Dutzend Kerle beim Camping schon machen?«
»Kannst du dir Jörn vorstellen, wie er Soldat spielt?«, lachte Susann.
»Ich kann mir nicht mal Piet vorstellen, wie er auf Macho macht. Und Dille? Der schießt sich bestimmt mit einer Armbrust ins Bein oder so ’n Scheiß«, knurrte Petra. »Idioten.«
»Ach, komm schon, du kennst sie doch. Hin und wieder müssen sie ihren Spieltrieb ausleben«, beschwichtigte Susann.
»Hin und wieder wäre ja auch völlig okay«, sagte Petra. »Aber ich sehe Dille ja kaum noch. Der ist fast jeden Abend weg. Erst zwingt er mich, dieses Kind zu bekommen, und dann guckt er’s mit dem Arsch nicht an!«
»Er hat dich gezwungen?«, wunderte sich Susann.
Petra verzog den Mund. »Ach … Nee. So meinte ich das nicht. Es ist nur … natürlich liebe ich den kleinen Scheißer, aber … na ja, der Plan war eigentlich, endlich mal ein bisschen Zeit für mich zu haben. Für Dille und mich, verstehst du? Wir waren nie einfach nur ein Paar. Wir waren von Anfang an Eltern. Mir fehlt einfach das, was ihr alle schon hattet. Der Bauchkribbel-Teil, der Romantik-Teil, der Leidenschafts-Teil.«
Susann verkniff sich den Kommentar, dass Dille und Romantik ein Widerspruch in sich war. »Er liebt dich«, sagte sie stattdessen. »Aber er ist halt ein Mann. Da muss man sich den Teil, der fehlt, einfach dazudenken.«
Petra lachte. »Tolle Einstellung. Gediegen unterwürfig. Wo haste denn diese Weisheit her? Aus einem Buch übers frühe Mittelalter?«
Susann musste grinsen. »Du hast recht. So formuliert, klingt das sehr nach Hausmütterchen, aber du weißt schon, wie ich es meine …«
»Nee«, sagte Petra. »Weiß ich nicht. Erklär’s mir.« Sie legte Adrian an ihre Schulter und klopfte ihm auf den Rücken. Er rülpste.
»Ich meine …«, begann Susann, »… nimm Piet. Der braucht hin und wieder einfach seine Inseln. Sein Vakuum. Der muss manchmal einfach für sich allein sein.«
»Ja«, sagte Petra. »Wenn er auf dem Scheißhaus einschläft.«
Susann ignorierte die Bemerkung. Sie hatte Piet versprochen, mit niemandem über seine »Männlichkeitsspritzen« zu sprechen.
»Dille braucht keine Insel«, fuhr Petra fort. »Der muss nicht allein sein. Er kann den ganzen Tag reden, das weißt du ja. Aber nur mit seinen Kumpels. Das reicht ihm nicht, hier bei uns zu Hause. Wir sind ihm nicht genug.« Petra hob den kleinen Adrian hoch und schaute ihm in die hellen blauen Augen. »Nicht wahr, mein Süßer?«, sagte sie. »Papa ist ein Flüchtling.«
»Ach was«, wiegelte Susann ab. »Der will nur spielen.«
»Ja. Aber nicht mit uns«, sagte Petra leise.
* * *
Inzwischen hatte auch Dille eingesehen, dass er keinen Anschluss an die Böhse-Onkelz-Guerilla finden würde, sosehr er es auch versuchte. Er saß mit seinen Freunden abseits der großen Gruppe und schaute hin und wieder wehmütig zu den Stiernacken hinüber, die mittlerweile größtenteils betrunken waren, derbe Zoten rissen und gelegentlich röhrend und keuchend lachten wie Braunbären mit Asthma.
Zu gern hätte Dille dazugehört. Doch stattdessen saß er hier mit einem antriebsarmen, sarkastischen Schriftsteller und einem schwulen Feingeist mit Zimtschokolade. Tolle Idee, die Jungs zu diesem Männerwochenende mitzunehmen! Und während sich die Kriegsspieler zehn Meter weiter prächtig amüsierten, diskutierten Jörn und Piet über das Leben. So Beziehungsscheiß und grundlegende Fragen der Existenz. Weiberkram.
»Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen«, sagte Piet gerade zu Jörn. »Ich kenne Sven seit der Sandkiste. Er ist einer der feinfühligsten und loyalsten Menschen, die es gibt. So wie du ihn beschreibst …«
»Du, ich übertreibe nicht«, unterbrach ihn Jörn. »Er rutscht mir zwischen den Fingern durch. Ich kriege ihn nicht mehr zu fassen. Alles,
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