Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Nacheinander reichte er die drei Schaufensterpuppen nach draußen. Die Puppen waren groß und die Zeltöffnung relativ klein, weswegen das Ganze nicht ohne Poltern und Scheppern vonstattenging.
»Hey«, knurrte einer der Männer aus einem Zelt. »Was ist da los, da draußen?!«
»Hoppala, tschuldige. Bin nur gestolpert«, säuselte Dille mit übertrieben femininem Tonfall. »Ich musste mal Pipi.«
»Schwuchteln«, knurrte der Mann, ließ die Sache dann aber auf sich beruhen.
Wenige Minuten später stolperten die drei Freunde durch die tiefe Nacht. Die Waldwege waren in der Dunkelheit nicht leicht auszumachen, und da jeder neben seinem Rucksack auch noch eine Schaufensterpuppe schleppte, kamen sie nur langsam voran.
»Wo lang?«, fragte Piet.
»Da lang, glaube ich«, sagte Dille.
»Wo?«, fragte Jörn.
»Da«, sagte Dille.
»Ich vermute mal, du zeigst mit dem Finger irgendwo hin«, sagte Piet. »Aber dir ist schon klar, dass es dunkel ist und niemand deinen Finger sehen kann, oder?«
»Mach doch die Taschenlampe an«, schlug Dille vor.
»Dann kann ich Tiffany nicht mehr halten«, erklärte Piet. »Und sie braucht mich. Sie hat mich angefleht, sie nicht alleinzulassen.«
»Ja, ja«, maulte Dille. »Folgt mir einfach. Folgt meiner Stimme.«
Sie liefen und liefen. Hin und wieder stolperte einer von ihnen, und einmal rammte Piet seine Schaufensterpuppe versehentlich frontal gegen einen Baum.
»Ups«, sagte er. »Ich fürchte, Tiffany hat morgen früh ein blaues Auge.«
»Wieso darfst du eigentlich Tiffany tragen?«, fragte Dille.
»Da musst du Tiffany fragen«, antwortete Piet. »Sie hat mich extra gebeten, sie nicht an dich weiterzugeben. Sie sagt, du hast sie so komisch angeschaut.«
»Ha, ha«, knurrte Dille.
»Ich bin sehr zufrieden mit meinem Dave«, verkündete Jörn. »Er hat mir schon seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Er ist auf einer Farm groß geworden. Irgendwo in Iowa.«
»James macht sich total schwer«, beklagte sich Dille. »Er hilft überhaupt nicht mit. Keinerlei Körperspannung.«
»Ich hab Tiffany eben zwischen die Beine gefasst«, kicherte Piet.
»Wie lange laufen wir jetzt eigentlich schon?«, wollte Dille wissen.
Jörn hielt kurz inne und schaute auf die Leuchtziffern seiner Uhr. »Drei Stunden.«
»Müssten wir nicht langsam da sein?«, fragte Piet.
»Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht hundertprozentig sicher, ob wir auf dem richtigen Weg sind«, sorgte sich Dille.
»Hier gibt’s überhaupt keine Wege, du erinnerst dich?«, neckte ihn Piet.
»Ein Kompass wäre jetzt gut«, sagte Jörn mit todernster Stimme, und die drei Männer fingen an zu lachen.
Auch wenn der Marsch beschwerlich war, lachten und feixten sie die meiste Zeit. Die Vorstellung, wie diese Vollidioten am nächsten Morgen aus ihrer vermutlich nicht sehr wohlriechenden Wäsche glotzen würden, war einfach zu schön.
Kurz vor sechs – es wurde bereits hell – erreichte das inzwischen mächtig erschöpfte Trio endlich den Parkplatz. Sie drapierten die Puppen, hinterließen noch eine Nachricht, stiegen ins Auto und fuhren davon.
»Viel Spaß noch im Krieg, ihr Klotzköpfe«, lästerte Jörn.
Dille hielt seinen ausgestreckten Mittelfinger aus dem Fenster der Fahrerseite, obwohl ihn nur die Glasaugen der Schaufensterpuppen sehen konnten.
Als die Männer des gegnerischen Teams um 7.30 Uhr auf den Parkplatz kamen, von wo aus sie die Suche nach den Geiseln starten wollten, staunten sie nicht schlecht über das, was sie dort erwartete: Dave und Tiffany saßen eng umschlungen und einander offenbar küssend auf der Motorhaube eines Land Rover, während James an dem Wagen von Armin stand. Es sah aus, als würde er gegen die Fahrertür pinkeln. Unter dem Scheibenwischer hing ein Zettel. Darauf stand: »Miguel, Pietro und El Dilletanto haben uns gerettet! Ein dreifach Hoch auf die Undercover-Waschlappen!«
Drei Tage später entdeckte Dille auf der Webseite der Kriegsspieler mit großer Freude einen kurzen Bericht: Das Geiselbefreierteam war offiziell zum Sieger gekürt worden, während Armin, Sandro und ihre Mannschaft trotz lautstarker und angeblich sogar handgreiflicher Proteste auf Platz drei der deutschen Rangliste abgerutscht waren.
* * *
»Ich möchte, dass wir ein Kind adoptieren«, sagte Jörn und schaute Sven erwartungsvoll an.
Sven erstarrte in seiner Bewegung. Das Croissant, das er sich gerade in den Mund gesteckt hatte, hing halb zwischen seinen Lippen hervor. Seine Augen waren weit
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