Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
wir lieben uns. Wir sind ein Paar. Seit Monaten schon. Und es kann nicht so weitergehen wie bisher.« Jörn wandte sich Sven zu, der seinen Mann fassungslos ansah: »Es tut mir leid, Sven. Aber seien wir doch ehrlich: Wir beide – das ist doch längst vorbei.«
Niemand sagte etwas, die Stille war quälend. Dann schauten alle zu Petra, die leichenblass an der Wand lehnte.
»Fuck«, stöhnte Petra. »Fuck.«
1. Januar 2006
F ünf Uhr morgens. Sven und Jörn saßen am Tisch und redeten. Ruhig, kultiviert, vernünftig. Dabei hätte Jörn schreien können. Er wollte die Trennung. Er wollte mit Petra zusammen sein. Es war unvermeidlich, dass Sven und er sich als Einheit auflösten. Aber nicht so. Nicht so nüchtern. Nicht so verständnisvoll. Es kam für Jörn nicht unerwartet, aber es schmerzte ihn dennoch maßlos, dass Sven nicht besonders darunter zu leiden schien, was hier gerade geschah. Es war, als begrüße Sven die Trennung fast als neue Chance. Als ob mit der Trennung von Jörn endlich der letzte Rest seines alten Lebens abgestreift würde. Sven konnte nun gänzlich in seiner Welt aus coolen und schönen, kreativen und wichtigen Menschen abtauchen.
War Jörn wirklich kein Verlust für ihn?
»Ich habe dich sehr geliebt«, sagte Jörn, »aber in den letzten Jahren …«
»Ja«, unterbrach ihn Sven. »Es tut mir leid. Ich weiß, dass ich selbst auch Schuld daran habe. Ich war kein guter Ehemann in letzter Zeit.«
Dieses Verständnis! Zum Kotzen! Es war, als würde Sven ein Arbeitsverhältnis in gegenseitigem Einverständnis auflösen.
»Dass du mich aber ausgerechnet für eine Frau verlässt …«, sagte Sven, und jetzt, immerhin, erkannte Jörn einen Hauch von Verletztheit bei seinem Mann.
»Niemanden hat das mehr überrascht als mich«, sagte Jörn.
»Na ja«, grinste Sven – er grinste, um Himmels willen! –, »wenn es eine Frau gibt, die außergewöhnlich viele männliche Eigenschaften hat, dann ist das Petra.«
Jörn starrte Sven an. Es war schon vorbei zwischen ihnen, als dieses Gespräch begonnen hatte. »Ich kümmere mich um Peggy«, verkündete Jörn kühl.
Sven nickte.
»Du kannst sie natürlich jederzeit sehen«, sagte Jörn.
»Natürlich«, sagte Sven, aber beide wussten, dass das nicht oft geschehen würde.
»Du wirst ihr und mir finanziell helfen müssen«, sagte Jörn.
Sven nickte wieder. Wenn es etwas gab, was man Sven nicht vorwerfen konnte, war das Geiz. Er war ein großzügiger Mensch. Immer schon gewesen. Und im Grunde seines Herzen sehr anständig.
»Petra und ich werden uns eine Wohnung suchen«, kündigte Jörn an.
»Ja«, stimmte Sven zu.
Die beiden Männer schauten einander lange an, ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen.
Dann fragte Jörn: »Wann hast du aufgehört, mich zu lieben?«
»Nie«, sagte Sven und stand auf. Er verließ die Wohnung, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Jörn griff zu seinem Handy und wählte Petras Nummer.
* * *
Sven saß auf dem harten Boden, allein, zwischen einem elektrischen Stuhl und einem Rednerpodest. Seine Hände spielten gedankenverloren mit einem Stromkabel. Es war bitterkalt in dem Raum. Die nächtliche Probebühne war nicht beheizt, die Kulissen seiner neuen Inszenierung waren das Einzige, was zwischen ihm und der totalen Leere des Raumes stand. Totale Leere. Das war es, was er fühlte. Er wollte allein sein. Mit seiner Traurigkeit und seiner Verwirrung. Der Klang seines Weinens war hohl und hallte in dem großen Raum wider. Sven weinte, weil er begriff, dass er in dieser Nacht – nein, eigentlich schon vor Monaten – etwas unfassbar Wichtiges verloren hatte: seinen Halt.
Er nahm das Stromkabel und legte es sich um den Hals. Spielerisch zog er ein wenig daran und streckte die Zunge heraus. Ein kleiner theatralischer Moment. Er lachte kurz verächtlich über seine eigene Geste, seine publikumsfreie Selbstmitleidsnummer, dann legte er das Kabel neben sich auf den Boden. Natürlich würde er sich nicht umbringen. Natürlich ging das Leben weiter. Aber er würde nachdenken müssen. Er würde darüber nachdenken müssen, wer er war. Er war viel zu lange selbstzufrieden und mit der arroganten Annahme, er hätte eine Recht darauf, mit Glück und Erfolg regelrecht beworfen zu werden, durchs Leben stolziert. Ohne sich umzuschauen. Schlagartig, schockierend schlagartig, wurde ihm das klar.
Er erhob sich und schrie. Er schrie ohrenbetäubend laut. Und dann trat Sven mit voller Wucht und in maßloser Wut über sich selbst gegen den
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